REVIEWS COMIC 12-20 / 01-21
auf der suche nach moby dick
/ Knesebeck
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TIPP |
Kurz bevor Herman Melville 1849 mit seinem wichtigsten Roman begann, weilte er in Paris. Mythos und Mysterium Moby Dick faszinierten schon einige französische Graphic Novel-Autoren - allein in den letzten Jahren erschienen drei Interpretationen von Melvilles Literaturklassiker. Die jüngste ergänzt die beiden vorausgegangenen, bemerkenswerten Versionen von Chabouté sowie Jouvray & Alary um einen differierenden Ansatz. Der Sorbonne-Historiker Sylvain Venayre, spezialisiert auf die kulturelle Geschichte des 19. Jahrhunderts, fügte eine gegenwärtige Parallelhandlung mit |
grönland odyssee und andere arktische erzählungen
/ avant - Verlag
Und noch ein tolles Cover. Eisbären vs. Trapper - arktische Geschichten auf fast 400 Seiten * www.avant-verlag.de * Grönland Vertigo - Rezension |
TIPP |
Grönland, die zweite. Zeitgleich zur Deluxe-Neuauflage von Hervé Tanquerelles farbiger Hergé-Hommage Grönland Vertigo - gibt es bei Avant noch mehr zum gleichen Sujet. 2018 setzte Tanquerelle Gwen de Bonnevals Adaption der arktischen Geschichten von Jørn Riel zeichnerisch in Szene - als Mischung von Strich- sowie Tusch-Anteilen und strikt schwarz-weiß. Einzig im Anhang finden sich vier farbige Aquarelle aus Tanquerelles Skizzenbuch von 2011. In diesem Jahr unternahm der französische Zeichner eine Reise in die Arktis, die beide Bände inspirierte - auch Riel war mit an Bord (eine Portraitskizze ging ebenfalls in den Anhang ein). Nun liegt mit Grönland Odyssee die deutsche Ausgabe von dessen skurrilen Geschichten über eine Truppe rauer nordostgrönländischer Trapper vor. In deren gleichförmigen Alltag mit Schlittenhunden und anderen Nutztieren brechen höchstens hin und wieder Eisbären auf dramatische Weise ein. Auf die Einsamkeit in Eis und Dunkelheit reagieren manche der harten Polarburschen mit Geschwätzigkeit, andere igeln sich komplett ein. Und alle spinnen sich eine weibliche Begleitung zurecht (wenn sie nicht nackt gegen den Südostwind anrennen). Arktisches Seemannsgarn, zumeist vergnüglich. |
kokoro - der verborgene klang der dinge
Reprodukt
`Dialog der Fragmente´ - Igort arbeitet erneut seine Zeit in Nippon auf - und berichtet von den kulturellen Veränderungen dort: etwa dem Siegeszug von Manga- & Anime oder der Kawaii-Mania. Im japanischen Alltag finden sich für ihn nicht nur immer wieder neue Vorlagen für prächtige Aquarelle, der Zeichner lernt auch, mit Herz & Seele (Kokoro) in die Stille einzutauchen und den verborgenen Klang der Dinge zu erspüren. |
TIPP |
Zwei individuelle Berichte aus Japan hatte Autor & Zeichner Igor Tuveris aka Igort, geboren 1958 in Cagliari, mit Ein Zeichner auf Wanderschaft und Eine Reise ins Reich der Zeichen bereits vorgelegt, auf deutsch erschienen 2016 bzw. 2018 bei Reprodukt. Die auf Autobiografisches spezialisierten Berliner bringen folgerichtig auch Igorts drittes Nippon-bezogenes Werk heraus, das zunächst als reines Bilderbuch im Querformat konzipiert war. Letzteres blieb mit 26,8 × 19 cm erhalten, doch es gesellten sich nach und nach weitere Geschichten und Textfragmente aus Igorts Reisetagebüchern hinzu. Als wohl erster europäischer Comicautor im Dienst eines japanischen Verlages sammelte der Italiener während seiner sich mittlerweile über 30 Jahre erstreckenden Aufenthalte mannigfaltige, immer neue kulturelle Eindrücke. In Kokoro - Der verborgene Klang der Dinge berichtet Igort von seiner Vorliebe für die Filmklassiker Yasujirō Ozus & Begegnungen mit YMO-Leader Ryuichi Sakamoto (und der Zusammenarbeit für Futurista), Akira-Schöpfer Katsuhiro Otomo oder der etablierten Manga-Autorin Rumiko Takahashi. |
mythos beethoven
Moritz Stetter / Knesebeck
Auch schon 250... Moritz Stetter (Bonhoeffer, Luther) zeichnet Beethovens Leben nach und bezieht auch die Rezeption von Beethovens Werk nach seinem Tod ein. * www.knesebeck-verlag.de |
Im Vorjahr blickte Ludwig van B., meist mit dem bekannten Wallehaar ums Haupt, von ungezählten Buch-, CD- oder Illustrierten-Cover-Illustrationen. Zum 250. Geburtstag (17.12. 1770 – 26.03. 1827) erschien neben Goldjunge, Mikael Ross´ Graphic Novel über die Jugendjahre des Komponisten, bei Knesebeck auch |
charlie chaplin - Ein leben für den film
Bernard Swysen - Bruno Brazile / Panini
Natürlich ziert der Tramp, Chaplins ikonische Filmfigur, das Cover.
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Im Vorwort beschreibt der mit der Nouvelle Vague bekanntgewordene französische Regisseur Claude Lelouch, wie Chaplin ein Allroundtalent, eine persönliche Begegnung mit dem alten Weltstar des Kinos in den 70ern. Die Dupuis-Übernahme der Chaplin-Comic-Biografie des frankobelgischen Teams aus Zeichner Bruno Bazile & Szenarist Bernard Swysen bleibt dann zeichnerisch und erzählerisch etwas hinter den Erwartungen zurück. Chaplins angefülltes Leben wird chronologisch, auf rund 70 Seiten natürlich stark verdichtet, in recht kleinteiligen Vierfarb-Panels abgearbeitet. Immerhin erfahren die Leser aus den teils eher lexikalisch als authentisch wirkenden Sprechblasen-Dialogen viel über die ärmlichen englischen Verhältnisse, aus denen sich Charles Spencer Chaplin zum größten Komiker der Filmgeschichte emporarbeitete und seine Paraderolle als mittelloser, zweifingerbärtiger Tramp entwickelte: Hose & Schuhe zu groß, Jacke zu eng. Das zunehmend erfolgreiche Leben in den USA wird im Vergleich noch stärker komprimiert - die Transformation zum Regisseur und Studiogründer (nebst anderen Professionen), eine Abfolge von Dreharbeiten, Reisen & Affären, innerhalb der auch geschäftliche Turbulenzen und die Anfeindungen während der McCarthy-Ära angerissen werden. |
freaks - du bist eine von uns
Frank Schmolke - Marc O. Seng / Edition Moderne
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TIPP |
Nach seinem ungeschliffenen Paukenschlag zum Münchener Oktoberfest, widmete sich Illustrator Frank Schmolke sogleich seinem zweiten Comic, der nun, erneut bei der Edition Moderne, vorliegt: in einmal mehr aufwendiger Verpackung (Metallic-Lettern auf dem Umschlag), aber |
small favours - kleine gefälligkeiten
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xes
Florian Winter / avant - Verlag
"Sexmonster und ich wurden beste Freunde, aber die Freundschaft stand unter keinem guten Stern." Großbuchstaben im Titel, aber Voyeurismus wird hier klein geschrieben, ganz klein. `Sex´ rückwärts, oder auch `Excess´, so kann XES, der Titel von Florian Winters Geschichte einer persönlichen Abhängigkeit, gelesen werden. Sein (eigener) Protagonist ist, ähnlich wie einst Michael Fassbender in seiner vielfach prämierten Shame-Performance von 2011, gefangen zwischen Dämonen wie `Orgasaxulasp´, `Vullphall`oder `Eija Kula´, zwischen Pornostreams und Bordellvisiten. Er vereinsamt inmitten der immer anonymeren Kontakte und kriegt zunehmend seinen Alltag nicht mehr auf die Reihe. Die Leser folgen in diesem Mix aus mit Kindheits-Flashbacks versetztem Betroffenenbericht, Traumnotizen und Ratgeber, auch Florians Bemühungen um einen Ausweg aus dem krankhaften Zirkel über den Besuch von Selbsthilfegruppen. Am Ende der bei avant erschienenen, konsequent in s/w-rot gehaltenen Graphic Novel steht ein einordnender Text von `Sexsucht´-Autor Dr. Kornelius Roth, in dem auch das 12-Schritte-Prinzip des Selbsthilfeprogramms der Anonymen Sex- und Liebessüchtigen (Sex- and Love Addicted Anonymous - SLAA) erläutert wird, als Ausweg aus einem Krankheitsbild, das erst ab 2022 offiziell im internationalen Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen (ICD) der Weltgesundheitsorganisation gelistet sein wird. Laut WHO-Schätzungen zufolge gibt es allein in Deutschland rund eine halbe Million Sex- und Pornosüchtige... * www.avant-verlag.de |
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In Rotlicht getaucht, aber unbefriedigt - Florian Winter therapiert sich mit XES. |
Ohrfeige links, ohrfeige rechts - Flegeljahre einer Psychotherapeutin
Katz & Gold: Max Goldt / Stephan Katz - Edition Moderne
Und erneut sind rund 90 Seiten beisammen - nach dem Perkussionswuschel von 2016 und dem Band Numero 14 aus dem Vorjahr versammelt aktuell Ohrfeige links, Ohrfeige rechts - Flegeljahre einer Psychotherapeutin alle Titanic-Comics von Katz & Goldt aus den Jahren 2018-2020, ergänzt um einige Onepager. Matthias Ernst alias Max Goldt, der preisgekrönte Phrasensammler und -sezierer mit NDW-Vergangenheit (Foyer des Arts), schaut, natürlich erneut im Team mit Naiv-Cartoonist Stephan Katz, dem Jahrgang aufs Maul und spinnt dann alles ein paar Umdrehungen weiter. Er lässt Godzilla durchs Brandenburger Tor robben, beleuchtet schwule Haushaltspoesie und vergreift sich an trommelnde Rohrdommeln observierenden Soloselbständigen oder Trägern kopfüberstehender Galanteriedegen. Sogar eine kleine Dental-Reimerei hat da noch Platz, wie auch pandemisch-politische Seitenhiebe. Wir warten allerdings weiter auf Sitzplatz-Vergrößerungssocken für den Flugbetrieb (so er nach Corona auferstehen sollte). Geschmackssache, könnte man sagen - wie stets (manchmal zu) viel Text. Und zuweilen individuell ausbleibende Pointen. Doch all das wird die Fans einmal mehr verzücken und vom Rest wohl ungefähr so dringend benötigt wie "das Moos im Garten einer strahlenden Gemeinsamkeit". Ja, "wenn Frauen zu knülle zum Auswandern sind." Aber, "kennen Sie etwa unverkrampftere Arten, mit dem Problem der schwindenden Lebenszeit umzugehen?" * www.edition-moderne.ch |
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Alter Scholli-Schwede - die können ja austeilen... Psychotherapie mit K&G. |
Die unheimlichen * frankenstein / die affenpfote
Mary Shelley - Ralf König * William Wymark Jacobs - Sabine Willharn / beide: Carlsen
Zwei weitere Titel in Max & Moritz-Preisträgerin Isabell Kreitz´ Carlsen-Reihe Die Unheimlichen mit `klassischen und modernen Schauergeschichten´, interpretiert von deutschen Comic-Zeichner*inne*n: 1 Sicher ein Coup: für Mary Wollstonecraft Shelleys `modernen Prometheus´ Frankenstein konnte kein Geringerer als SchwulComix-Pionier Ralf König gewonnen werden. Der fusioniert in einer Mischung aus Hommage & Parodie seine typischen Knollnasen mit dem weltbekannten Gothic Novel-Stoff, nimmt dabei die Briefroman-Form des Originals auf und gewinnt diesem gar eine homoerotisch-morbide Facette ab. Auch die frühen Horror-Leinwand-Klassiker aus dem Hause Universal werden gewürdigt, an deren grünlich vom Filmplakat schimmerndes Frankenstein-Monster zudem die Farbgebung von Koloristin Emily Zürn und Buchgestalter Stefan Dinter anknüpft. "Frankenstein kommt nach Hause", wie der als Kabarettist bekannt gewordene Monty Arnold in einem Nachwort schreibt. Auch wenn man mit diesem ungewohnt düsteren Hybrid-Comic aus durchaus drastischen Schauerroman-Elementen und dem König´schen karikaturesken Ansatz zunächst seine Schwierigkeiten hat - letzten Endes doch eine `unheimlich´ eigenständige, lohnende Folge der Reihe. |
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2 Sie erfüllt jeweils drei Menschen je drei Wünsche, doch Glück bringt sie keines... Die Affenpfote, heute wohl die bekannteste Erzählung des Londoner Kurzgeschichten-Autoren William Wymark Jacobs, wurde im Rahmen der Unheimlichen von der renommierten Hamburger Kinderbuchautorin Sabine Wilharm, auf deren Konto etwa die Covermotive der deutschen Harry Potter-Bände gehen, zeichnerisch in Szene gesetzt. Auch für die Adaption der insbesondere durch Andeutungen unheimliche Wirkung erzielenden, kolonial angehauchten Jacobs-Story stand nur eine einzige Schmuckfarbe zur Auswahl. Diesmal entschied sich Gestalter Stefan Dinter für ein blässliches Violett. Wirtschaftswunderkind, Schlagerkenner und Buchautor Rainer Moritz erläutert im Nachwort Das Leere des Grauens in W.W.C´s Mär vom haarigen, zuckenden Talisman eines indischen Fakirs und die letztlich unheilvollen Wünsche des unglücklichen Ehepaares White. Sabine Wilharm setzt die Geschichte mit offenem Ende sehr eigenständig und unter eher sparsamer Verwendung von Sprechblasen um. |
Glatzköpfchen 2 - Club der grünen Krokodile
Zidrou - Serge Ernst / Panini
Wer braucht schon Haare? fragten Szenarist Zidrou und Zeichner Serge Ernst im ersten Band der Glatzköpfchen-Reihe. Vielleicht gesunde Kinder? Die zwölfjährige Zita kann das nicht von sich behaupten, seit drei Vierteln ihres jungen Lebens ist sie Dauergast auf der Krebsstation eines Krankenhauses. Im Sommer, wenn eine laue Brise durchs angekippte Fenster weht, fällt ihr das Gefangensein in der Klinik besonders schwer. Da bleibt einer eigentlich nur, die Mutter von Zimmergenossin Evelyne zu provozieren - oder wie die meisten anderen auf die wöchentlichen Besuche von Mama Kigali zu warten. Diese professionelle afrikanische Geschichtenerzählerin fesselt Patienten wie Personal mit Stories wie der vom Krokodil Mushangu, dessen Schwanzspitze ein krankes Mädchen berühren muss, um gesund zu werden. Sie schafft es - aber nur, weil ihre tapfere Großmutter sich opfert. Zita & Co. sind begeistert und türmen aus der Klinik, um ihr eigenes heilbringendes Kroko zu finden. Wie der Zufall es will, ist gerade eine Reptilienschau in der Stadt... Und die Moral von der Geschicht? Nur Mut! Auch dieses im Funny-Stil gestaltete Comic wird mit Hilfe des von Ernst gegründeten Vereins 2000 BD kostenlos an Kinder in Hospitalen verteilt - In Frankreich läuft die Serie munter weiter.
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Ein Kroko im Klinik-Flur...* Rezension Bd.1 |
Valerian & Veronique - Die Bewohner des Himmels
Pierre Christin - Jean-Claude Mézières / Carlsen
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1992 war die erste deutsche Ausgabe von Die Bewohner des Himmels bei Carlsen erschienen, den Kosmos von Valerian und Veronique erläuternd. In der aktualisierten Version zur lauenden Gesamtausgabe der Dauerbrenner-Serie von Pierre Christin & Jean-Claude Mézières werden nicht nur die Figuren und Alien-Wesen, die eine Rolle im V&V-Universum spielen, in Wort & Bild vorgestellt. Durch eine Klammer aus zwei (im Original 2017) neu hinzugekommen Kapiteln gibt es auf gut 90 Seiten noch etwas galaktischen Überbau dazu, garniert von kürzeren Comicpassagen. Die Leser*innen lernen also neben Megainsekten, Raumhunden und Wahnvögeln auch exotische Lebensformen wie Schamlis, Spiglis oder Tschungs (unter besonders ausführlicher Berücksichtigung der Shinguz-Spionwesen - von Anatomie bis Brauttanz), die quallenartigen Glapum´tianer, sowie die Stadtwelt von Central City besser kennen. Ähnlichkeiten zum realen Universum sind dabei nicht gänzlich ausgeschlossen, beispielsweise ließ es sich Autor Christin nicht nehmen, in den C.C.-Slums auch außerirdische Szenaristen ("angeblich unweit des illegalen Sklavenmarkts") unterzubringen... |