Oh Schreck! - Münchner Kammerspiele - Premiere vom 24.01.2025

oh schreck!
Münchner Kammerspiele - Premiere 24.1.25 - Weitere Termine: 28.1. - Junge Nacht, 9.2., 12.2., 10.3., 13.3., 17.3., 19.3.
Zunächst beeindruckt der von Julia Kurzweg ganz dem goldenen Schmuckportal des Jugendstil-Saales nachempfundene schimmernde Bilderrahmen - eine von vier (mitspielenden) Technikern bediente Drehbühne: auf der Vorderseite das handelnde Blutsauger-Ensemble um Altstar Walther von der Hess (s.o), den fahrigen Regisseur Wolfgang (Sebastian Brandes), die genervte Regieassistentin Isabell (Leoni Schulz), den anstrengenden Dandy Vlad (Frangiskos Kakoulakis) und Puppenschnitzer Kurt Erich (Michael Pietsch). Auf der Rückseite das Stück im Stück - zunächst: ein Puppenspiel. Regisseur Wolfgang hat die stellare Idee, Nosferatu als Stummfilm zu inszenieren, denn das Haus braucht dringend den Erfolg (findet auch sein cholerischer Intendant Dennis Dorn(sic! - Dennis Fell-Hernandez). Dazu kommen Erichs/Pietschs zauberhafte Puppen zum Einsatz, gesteuert von weiteren Ensemblemitgliedern wie der sich ausgerechnet nach Sonne sehnenden Veteranin Svetlana (Jelena Kuljić) oder der 13-jährigen, im Mickymaus-Sarg übertagenden Teenager-Vampirin Claudia, deren erstes Opfer ausgerechnet Regie-Wolfgang wird. Da wird herzhaft zugebissen und einiges Theaterblut verspritzt, zur Piano- & Elektronik-Begleitung durch Musikus Igor(! - Anton Berman).
Mit des Regisseurs Transformation (aus seiner Adidas-Trainingsjacke wird ein ebenso hellblauer, veritabler Vampirfürsten-Umhang (Kostüme: Sophie du Vinage) ist leider Schluss mit dem nostalgischen Puppenspiel - Splattereffekte und Doom-Metal-Klänge setzen Stück & Ensemble zu. Auftritt zudem: die mit Wortkaskaden und dem Inhalt ihres überquellenden Louis-Vuitton-Knoblauch-Täschchens übertrieben kämpfende Vampirjägerin Christine Van Helsing ("Sprechen, Drama, Subutex." Ein Komik-Parforceritt von Kammerspiele-Star Katharina Bach, voll drüber, zu irrem, eigenen Text): "Ich bin ja auch eine Frau der Tat, die gerne hämmert, nagelt, pflockt." Genau hinzuhören lohnt sich,denn...
...hier bekommt auf einer dritten Ebene - neben Theateralltags-Farce und kulturhistorischer Hommage - das rechte Hier und jetzt im Allgemeinen und die gefährliche AfD-Spitzenhetzerin Alice W. im Besonderen ihr Fett weg: "Was infiltriert wurde, kann auch wieder gefiltert werden. Was transformiert wurde, kann ja auch wieder gespalten werden. Und ich muss ihnen ganz ehrlich sagen, wenn es denn Reorganisation heißen soll, dann heißt es eben Re-Orga-nisation...während geöffnete Räume wieder geschlossen werden." Untotes Gedankengut erhebt erneut sein hässliches Haupt. Genau dagegen sendete heute diese Schauspieler*innen mit sogenannten kognitiven Beeinträchtigungen einbindende Münchner Uraufführung ein lebendiges, starkes Signal - für freie künstlerische Entfaltung und gesellschaftlichen Zusammenhalt. |
TIPP♦ ♦ ♦
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Es wird blutig heute abend im Schauspielhaus - und komisch. An der Bar im oberen Foyer ist hochprozentiger oder alkoholfreier Lebenssaft zu haben und im Prolog warnt der altgediente MK-Mime Walter Hess in seiner Rolle das Premierenpublikum: Eine von blutleerem Theater schreibende Journalistin "wusste nicht, wie nah sie an der Realität ist", denn alle Darsteller hier - außer ihm - sind: Vampire! Für den Hauptpart in der neuen Inszenierung hat man statt Hess aber "ausgegraben"(sic!): Max Schreck, "der die Rolle schon im Film gespielt hat. Wie fantasielos - aber: warten wir’s ab."
Regisseur Jan-Christoph Gockel nimmt sich also (mit inklusivem MK-Ensemble) Murnaus legendären expressionistischen Stummfilm Nosferatu vor und benutzt Elemente aus dem Leben des Orlok-Darsteller Max Schreck, der wirklich etwa 13 Jahre an den Münchner Kammerspielen, engagiert war. Der perfekte Ort für eine Theater-Hommage.
"Dieser Max Schreck ist ein Mythos." Bekanntermaßen - richtig erkannt auch: Schwächen von Robert Eggers´ aktueller Nosferatu-Neuverfilmung:"Warum rasten die Leute wegen des Schnurrbarts von Graf Orlok aus? Weil er (damit) nicht so aussieht wie Max Schreck 1922."
Dieser Schreck verschmolz in der popkulturellen Rückschau zwar mit seiner bekanntesten Rolle, deklamierte aber auch zu Lebzeiten, in den sich stetig brauner färbenden, frühen 1930ern im Münchner Politik-Kabarett Die Pfeffermühle den antifaschistischen Erika Mann-Text Dummheit, leider heute wieder ähnlich aktuell wie dunnemals. Walther von der Hess lässt sich indes (in einem Filmeinspieler) im Dentallabor Alpha-Bite prächtige Vampirzähne anfertigen. Dennoch - sein Abgang gerät schwach. Nur ein leises "Oh Schreck!" und er sinkt, frisch als neuer Orlok engagiert, tot zu Boden. Kann es doch nur einen geben? Was wohl Kinski dazu gesagt hätte...
Viel geboten - Jubel im Friends & Family-Premieren-Publikum - am gleichen Tag, als die letzten Holocaust-Überlebenden in der KZ-Gedenkstätte Dachau an die Opfer der Naziherrschaft erinnerten und die Reichen & Schönen im Prinzregententheater sich beim Bayerischen Filmpreis nach einem flammenden Appell von Eternal You (sic!)-Co-Regisseur Moritz Riesewieck gegen Kürzungen der Kunst-Etats in Zeiten von Populismus & Spaltung von ihren Sitzen erhoben - blieb Adressat Söder tatsächlich als Einziger sitzen |
OH SCHRECK! * All-abled Arts * Spielplan * |
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