Kolonial-Kino: Bob Marley - One Love / Colonos ab 15.02.2024
bob marley - one love
Plan B / State Street / Tuff Gong - Paramount - D-Kinostart ab 14.02.2024 * Flankierende Dokus auf arte & Netflix *
1:0 fürs Teaser-Plakat - das offizielle D-Filmposter fällt dagegen eher ab. "The Time was right", ist Ziggy Marley überzeugt - Nach mehrjährigen Versuchen, der epischen Dokumentation von Kevin MacDonald (2012) einen Biopic-Filmstoff folgen zu lassen, wurde die Family nebst US-Produzenten auch in Sachen Regie fündig: Reinaldo Marcus Green (King Richard) beteiligte sich auch am Drehbuch von Terence Winter (Boardwalk Empire) & dem Cayman Islands-stämmigen Frank E. Flowers (Shooting Stars). Das Script konzentriert sich auf eine essentielle Phase in Bob Marleys Karriere, die Jahre 1976 bis 1978. Inmitten der Vorbereitungen zu einem kostenfreien Smile Jamaica-Konzert, wird er in seinem Haus an der Hope Road zur Zielscheibe von gedungenen Attentätern. Er selbst wird leicht, seine Frau Rita und sein Manager Don Taylor schwer verletzt. Marley absolviert den Auftritt unter Schmerzen, flieht dann aber mit den Wailers nebst Grafiker & Mädchen-für-alles Neville Garrick zunächst ins Londoner Exil, wo er, beeinflusst von den dortigen sozialen Spannungen, Rude Boy- & Punk-Bewegung sein wichtiges Album Exodus (Natural Mystic, Exodus, Jamming, Three Little Birds, One Love u.a.) aufnimmt. getrennt von Frau und Kindern und selbst vaterlos aufgewachsen - auf der Suche nach neuer Orientierung. Schließlich kehrt er 1978 für ein weiteres Riesenkonzert nach Jamaica zurück und befriedet - leider nur sehr kurzfristig - mit seiner legendären Performance die zuvor in bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen (PNP - damaliger Premier Michael Manley - vs. JLP - Oppositionsführer Edward Seaga) abgeglittene Insel. Marleys fatale Krebserkrankung wird angedeutet, doch der Film endet bewusst vorher - positiv, mit dem vorläufigen Triumph von Marleys bis heute gültiger Agenda: One Love Peace. Um die es weitweit leider nicht gut steht... Hinter jedem jamaikanischen Mann steht (mindestens) eine starke Frau. Rita Marley - Mutter von vier der 11 leiblichen Kinder Bobs, I-Threes-Mitte, Martriarchin, Konzern-Chefin und nun auch Film-(Co-)Produzentin. Befürchtungen, die bei aller Ballung von Talent auch immer kommerziell ausgerichtete Marley-Family würde die Legacy der Lichtgestalt durch einen deutlich inadäquaten Film eher beschädigen, haben sich nicht bestätigt. Neben dem Premierenpublikum in Jamaika scheint der sachte beschönigende Film auch in der Diaspora & weiteren durch Marleys weltweiten Reggae-Siegeszug bereiteten Märkten Anklang zu finden. Die unter den Beteiligten waltende Sorgfalt ist wohl einer der Erfolgsfaktoren für One Love - vor diesem Hintergrund mehr als ein Wermutstropfen, dass Wailers-Album-Grafik-Designer, Zeitzeuge & Mit-Protagonist Neville Garrick (hier umfangreich beratend tätig & im Film von Sheldon Shepherd verkörpert) Premiere & Erfolg des Marley-Movies nicht mehr miterleben konnte - er verstarb am 14. November 2023, von Ziggy Marley gewürdigt: "Without him it could not have been done. It was a continuation of the work he did for my father and the strong friendship they had with each other." * Kingston Film Premiere * London Film Premiere * https://paramount.de/bobmarley-onelove * Deutscher Trailer * www.bobmarley-kinofilm.de * * Bob Marley & The Wailers - The Complete Island Recordings CD Box * Ganz stark die thematische Begleitung auf Arte: Marley (2012), die empfehlenswerte Doku von Regisseur Kevin McDonald 12.02./16.02., außerdem in der Mediathek noch bis 12.03. * ; weiter der Wailers-Rockpalast-Mitschnitt aus der Dortmunder Westfalenhalle von 1980, noch bis 12.04. & Stefan `Arsenal´ Pauls essentieller Film über das 1979er Reggae Sunsplash, u.a. mit No Woman No Cry live, im Splitsscreen mit Trenchtown-Footage sowie ein sehenswertes Blow up: Marley im Film. Netflix hat die packende Doku Who Shot The Sheriff (Teaser Video) im Programm, rund um das Attentat, Marleys Exil & Rückkehr. Worthwile! |
TIPP
LinksCD-Box
arteNetflix |
Starkes Box Office in den meisten der über 40 Territorien, in denen One Love das Biopic zum ersten Superstar aus der Dritten Welt, aktuell gestartet ist. Nach Premieren in Kingston & in London läuft die Spielfilm-Hommage der Marley Family (Frau Rita, Sohn Ziggy & Ehefrau Orly, Tochter Cedella als - nebst weiteren - Co-Produzenten) an ihr 1981 verstorbenes Familienoberhaupt Bob nun auch im deutschen Kino. Das Casting war essentiell - eine starke Performance des Hauptdarstellers Kingsley Ben-Adir, der es trotz wenig ähnlicher Statur & Physionomie über ein minutiöses Studium der Ausdrucksweise (astrein jamaikanisches Patois) und Gestik schafft, Marley glaubhaft zu verkörpern, trägt den Film - flankiert von ebenfalls starken Sidekicks wie Lashana Lynch als Rita Marley und James Norton als Chris Blackwell. Ben-Adir lernte zudem für den Part, Gitarre spielen, sein Gesang wurde, wo sinnvoll, mit den dominierenden Marley-Originalaufnahmen vermischt. Robert Nesta Marley, als Mischling im 1962 formal in die Unabhängigkeit entlassenen, aber immer noch kolonial geprägten Common"wealth"-Jamaica der 70er Jahre selbst ein Außenseiter, einte durch seinen von Reggae-Musik ("roots fixed in slavery") & Rastafari-Religion bestimmten Weg ein in dieser Zeit an Verbrechen, politischer Instabilität und sozialen Verwerfungen zu zerbrechen drohendes Jamaika und ist bis heute die Lichtgestalt des karibischen `likkle island´. Der Film zeigt Marley als karibischen Messias (sogar seinem Attentäter vergebend): Marley selten aufbrausend, meist ernst, sorgenbeschwert oder als hart arbeitenden Musiker & Performer - unbeschwert am ehesten beim Joggen & Fußballspielen. Gedreht wurde an vielen Originalschauplätzen, u.a. in der 56 Hope Road, Marleys von Chris Blackwell gekauftem Anwesen (heute das Marley-Museum beherbergend) in Trenchtown und (für die Konzerte der Exodus-Tour) auch im Londoner Rainbow Theatre. Eher mau die musikalische Flankierung des Großprojekts, ein Soundtrack erscheint aktuell nur digital, ohne Linernotes, bzgl. der Neubearbeitung einzelner Tracks bleiben Fragen offen. `Swaggae´-Künstler Patrice lispelt sich als deutscher Ambassador des Films durch eine laue One Love-"Hommage an meine größte Inspiration", Bob Marley. All das wohl in der Hoffnung, "Marley und seine Botschaft, die heute mehr denn je gebraucht wird, einer ganz neuen Generation vorzustellen.“ Lohnender das Tracks -Interview mit Patrice & Clive Hunt (arte). Eine Generation zuvor vor Ort: 20.6.1980: sr @ Waldbühne Berlin |
(los) colonosMUBI - D-Kinostart ab 15.02.2024 |
TIPP |
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Ein raues Juwel hat MUBI da an Land gezogen - drei Reiter der Apokalypse in einem sinister durch die Genres trabenden South-Western. Nach der Premiere in Cannes u.a. auch in Stockholm & Montréal prämiert. Ernsthafte Meinungsverschiedenheiten im ungleichen Söldner-Trio. Gemächliches Tempo, sparsam eingesetzte Dialoge & Großaufnahmen - trotz einer fahlen Blässe und des bewussten Verzichts auf das Breitwandformat beeindruckt die Kamera von Simone D’Arcangelo mit ihren Bildern aus der kahlen, kalten, windigen Weite Patagoniens, kongenial verbunden mit der Musik des jungen, französischen Stummfilmpianisten und Komponisten Harry Allouche (Au bout des doigts , 2018) , dessen einfallsreich instrumentierter Neo-Western-Orchester-Score über 40 (von 100) Filmminuten mitprägt. * Dtsch UT-Trailer * Mubi-Film-Website * https://harryallouche.com * |
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2023 ließ der Regisseur Pablo Larraín mit einem Film aufhorchen, der Chiles brutale jüngere Vergangenheit mit den Mitteln einer schwarzhumorigen Genremixtur ins Licht rückte: Diktator Pinochet kehrt als (interessanterweise Sepp Blatter optisch nicht unähnlicher) Blutsauger zurück, der das Volk seit seinem scheinbaren Ableben im Verborgenen weiter aussaugte. Während dem in Schwarz-Weiß gedrehten El Conde nur ein Mini-Selected-Cinema-Fenster vor seinem Start auf Netflix vergönnt war, scheint es MUBI ernster mit dem Kino-Release des anderen spannenden Filmes des gleichen Jahrgangs aus Chile zu meinen. Nicht zuletzt, weil (Los) Colonos des 41-jährigen Regisseurs Félipe Galvez eben als offizieller Beitrag des südamerikanischen Landes ins Oscar-Rennen geht - nach einer mit erfolgreichen Festival-Auftritten ausgefüllten Vorjahres-Saison (Cannes, Toronto, San Sebastian etc - auch beim Münchener Filmfest). Und auch Galvez´ harter Film ist nichts für Zartbesaitete, thematisiert er doch einen Kolonial-Genozid an der indigenen Bevölkerung (in diesem Fall Süd-)Amerikas. Chile, Feuerland Anno 1901. Ein Großgrundbesitzer heuert drei Söldner an, um die Grenzen seiner Ländereien zu erweitern und eine vorteilhafte Handelsroute durch einst indigenes Territorium zum Atlantik zu erschließen. Innerhalb dieses barbarischen Trios aus einem chilenischen Mestizen (Camilo Arancibia), einem texanischen Gringo (Benjamín Westfall) und einem britischen Leutnant (Mark Stanley), entwickeln sich bald Spannungen auf dem zunehmend blutig aus dem Ruder laufenden Trip. Félipe Galvez (auch Co-Drehbuchautor mit Antonia Girardi) und sein Kreativteam verpacken ihre postkolonialistische Kritik zunächst in einen Western (denn "Hollywood hat den Genozid meist verharmlost"), preisen dabei aber auch Horror- & Politdrama-Features ein. Weiter als üblich `south of the border´ geht es hier nicht minder vogelwild & brutal zu bei dieser desillusionierenden Geschichte aus den Geburtswehen einer Nation. |
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