Reviews Comic 12-2014


 
* soundtrack * crossover * pop/rock * catalog * jazz * electro * world * x-mas-special * film * comic * book *

 

Eine Nautische Fabel 

 
 Marine Blandin - Carlsen TIPP  
 

Badespaß ohne Ende. Innerhalb der gigantischen Erlebnisbad-Kuppel-Architektur von Nautiland ist die Welt in Ordnung und wohlgeordnet: es gibt Rutschen, ein Becken für die Leistungsschwimmer, eines für die Kinder – und keinen Ausgang. Das scheint aber niemanden zu stören, denn niemand kennt ein Leben außerhalb des Spaßbads. Bis auf eine alte Dame, die ihrem toten Hasen täglich eine Möhre ins Becken wirft, denn Nautiland ist auf dem Boden eines alten Tierfriedhofs errichtet. In den Tiefen der Becken tummeln sich die Geister der verstorbenen Haustiere, laden Ertrinkende zum Ballspiel, bevor sie vom Walmann gerettet werden... Einer Legende zufolge soll im tiefsten Becken, schon eher ein bodenloser Schacht, der Schlüssel zum Weg in die Welt außerhalb Nautilands liegen. Und so wagt die ebenso mutige wie entschlossene Wasser-Ballerina Gormone, mit ihrer Position innerhalb der Tanzgruppe extrem unzufrieden, einen langen Tauchgang. Mit wenig Text aber ausdruckstarken Bildern, die sie oft wie Unterwasseraufnahmen perspektivisch verzerrt, beschreibt Marine Blandin in ihrem faszinierenden Comicdebüt eine geschlossene Spaßgesellschaft, in der keine Fragen gestellt werden - selbst, wenn Menschen spurlos in der carnivoren Bepflanzung des Hallenbades verschwinden. Bis ein Einzelner mit einem Griff die ganze Struktur zum Einsturz bringt... gb www.carlsen.de


Robert Moses Der Mann, der New York erfand

Pierre Christin & Olivier Balez - Carlsen

Ein Blick auf die innere hintere Umschlagseite genügt, um das Werk von Robert Moses und dessen Bedeutung für New York auf einen Blick zu erfassen: der Brooklyn Battery Tunnel und sechs Brücken, um die Stadtteile miteinander zu vernetzen, zahlreiche Parks und Strände zur Erholung, 17 Schwimmbäder, 600 Spielplätze, 700 Baseballfelder – zwischen 1930 und 1970 hat Moses, der Workaholic, buchstäblich das Gesicht der Stadt verändert. Lange Zeit hoch gepriesen, wurde Moses später für seine zunehmende Rücksichtslosigkeit kritisiert, als er vorgebliche Elendsviertel abreißen ließ, um Platz zu schaffen für brachiale Expressways quer durch die Metropole und gewaltige Siedlungsprojekte wie Stuyvesant Town, die anstelle der gewachsenen Viertel die Lower East Side mit ihrer funktionellen Massigkeit erdrückten. Der Journalist und Schriftsteller Pierre Christin, selbst ein Architektur-Enthusiast, beschreibt das Leben des bedeutenden Stadtplaners, der sich vom dem öffentlichen Dienst verpflichteten Utopisten nach und nach zum privaten Baulöwen im Geiste wandelte. Im Fokus steht dabei der beruflich-politische Werdegang des Robert Moses. Und das ist gleichzeitig die Schwachstelle der Comic-Biografie: Der Protagonist bleibt seltsam hölzern, Privates kommt kaum vor. Die von Olivier Balez mit elegantem Pinselstrich zu Papier gebrachte Sepia zieht sich als Grundton durch die gesamte Graphic Novel – die Architektur New Yorks hätte jedoch mehr in den Vordergrund gerückt werden können. gb www.carlsen.de

 

 

 

 

 

 

 

 

 
 

Aya - Leben in Yop City

 
 Marguerite Abouet & Clément Oubrerie – Reprodukt TIPP!  
 

An die drei Kapitel aus der auch an dieser Stelle gewürdigten Côte d'Ivoire-Seifenoper "Aya" von Autorin Marguerite Abouet und Zeichner Clément Oubrerie (u.a. `Pablo´ s.u.) schließt nun "Leben in Yop City" an. Im Stadtteil Yopougon kämpfen sich die Beinahe-Twens Aya, Adjoua und Bintou weiter durch den Alltag der Hauptstadt Abidjan. Dabei versucht das "Aya"-Team sichtbar, nicht nur auf der Stelle zu treten: Das vertraute Umfeld wird gleich zu Beginn von Kapitel 4 per Air-Afrique-Flieger verlassen - der Leser folgt dem neuen Protagonisten Innocent, der sein Glück in Paris versuchen will. Auch sein Michael Jackson-Styling macht den Neustart dabei nicht zum Kinderspiel. Ein weiterer Handlungsstrang wird auf dem Land um Abidjan aufgemacht und auch eine kleine Fotostory wird diesmal in die Abenteuer der Yop-Clique integriert. Im folgenden Kapitel bekommen dann die reichen Sissokos sowie die Kirche ihr Fett weg. Oubreries Farbseiten mit den eingestreuten prächtigen Einseitern machen weiter gehörig Spaß, wenn auch von der Story her die Pariser Episoden gegenüber dem Treiben in Yopougon etwas abfallen. Abschließend ein toller Anhang mit diversen Großportraits. Mittlerweile also doppelt schade, dass sich hierzulande noch niemand traut, den in Frankreich produzierten abendfüllenden Zeichentrickstreifen "Aya de Youpugon" auch bei uns ins Kino zu bringen. sr www.reprodukt.com

 

 
 
 

Miss October 3 - Bad Day

 
 Stephen Desberg & Alain Queireix - schreiber&leser  
 

Desberg & Queireix´ "Miss October", die dritte. Der abschließende Band der Retro-Reihe aus dem Los Angeles der Sixties startet mit LAPD-Inspector Clegg Jordans `worst case´-Szenario. Der Serienmörder, der seine attraktiven Opfer wie Playboy-Foldouts zu drapieren pflegt, hat erneut zugeschlagen - im Sunset Motel liegt die rothaarige "Miss April" - mausetot. Die polizeilichen Ermittlungen stocken mal wieder, während die gehörlose Protagonistin, die blonde Juwelenräuberin Lynn, sich weiter nach Kräften wehrt, zu einem der nächsten Opfer, der "Miss October" zu werden. Mehr als die routiniert aufgerollte Story von Szenarist Stephen Desberg halten den Betrachter einmal mehr die Tableuas von Zeichner Alain Quereix bei der Stange, von denen man sich angesichts der strengen Kleinteiligkeit lediglich manchmal ein paar halb- oder ganzseitige Ausflüge wünschen würde. Ausnahmslos schöne Frauen, mal mehr, mal weniger harte Kerle, schicke Klamotten, chromblinkende Autos und die modernistische Rock´n Roll Architektur machen auch den dritten Band zum nicht gerade tiefgründigen, aber gekonnt durchdesignten Genre-Augenschmaus. sr www.schreiberundleser.d

Fluchttunnel nach West-Berlin

Olivier Jouvray & Nicolas Brachet - Avant Verlag

Am 3. und 4. Oktober 1964 fliehen insgesamt 57 Menschen aus dem Ostteil durch einen 145 Meter langen Tunnel unter der Mauer hindurch nach West-Berlin. In Anlehnung an diese wahre Begebenheit erzählen Olivier Jouvray & Nicolas Brachet ihre atmosphärisch dichte Geschichte rund um den Bau des „Tunnel 57“: Als der in West-Berlin lebende Kunststudent Tobias bei einem Besuch seiner Familie im Ostteil der Stadt mitbekommt, wie verzweifelt seine Schwester Hanna aufgrund ihrer Zukunftsaussichten in der DDR ist, fasst er einen Entschluß. Begleitet von der ständigen Angst, entdeckt zu werden, beginnen er und seine Helfer unter strengster Geheimhaltung, einen Tunnel zu graben, der ihre Verwandten in die Freiheit führen soll. Das Kreativteam Jouvray/Brachet vermittelt in klarem, realistischem Zeichenstil und Grau-, Braun- und Blautönen die Schwierigkeiten beim Tunnelbau – Statik, Wassereinbruch, verräterischer Baulärm – ebenso glaubwürdig wie die Motive, Ängste und Hoffnungen der Protagonisten. „Die Liebe, aber auch die Bindungen zu Angehörigen, die Loyalität zu Freunden – wie weit Menschen aus diesen Gründen bereit sind zu gehen, hat Olivier und mich sehr beschäftigt“, erklärt Nicolas Brachet, der vor der Comic-Präsentation im Oktober noch nie in Berlin war. Er hat die Bilder der Grenzanlagen, der Plattenbauten, von Bernauer Straße und Karl-Marx-Allee bei Online-Recherchen, in Büchern und Archiven gefunden. An Bilddetails wie Brillengestellen oder Möbeldesign merkt man, dass sich das Autorenteam intensiv mit der DDR-Zeit beschäftigt hat. Noch schöner wäre es gewesen, wenn die Geschichte mit Hintergrundinfos und Fakten redaktionell begleitet und historisch eingeordnet worden wäre, da heute bereits eine Generation herangewachsen ist, die ein geteiltes Deutschland nicht mehr kennt. gb

www.avant-verlag.de

 

 

 

 

 

 
 
 

Gauguin - Paradies und Wildnis

 
 Maximilien Le Roy & Christophe Gaultier - Knesebeck TIPP  
 
 

Ein Teil der Wahrheit hinter den bunten Südsee-Portraits: "Gauguin war ein Ungetüm." Szenarist Maximilien Le Roy (1985 in Paris geboren) und Ex-Trickfilmzeichner Christophe Gaultier (aus dem Umfeld von Joann Sfar) arbeiten aus den letzten zwei Lebensjahren des Malers vor allem den wilden Mann heraus. Den ehemaligen Impressionisten zog es seit 1887 immer wieder in französisch kolonialisierte, tropische Gefilde: zunächst in die Karibik (nach Martinique und Panama, wo er sich aus Geldnot als Arbeiter beim Bau des Kanals verdingte) und später in die Südsse - zunächst nach Tahiti und schließlich auf die Marquesas-Insel Hiva Oa, "Paradies und Wildnis". Hier legte sich der notorische Rebell regelmäßig mit der aus Kapitalisten, Geistlichen und Polizei bestehenden Obrigkeit an und wurde zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, der er nur daurch entging, dass er 1903 an einem Krankheits-Cocktail aus Alkoholismus, Tuberkolose und Syphillis einging. Mittels zweier Zeitebenen erzählt Le Roy diese Leidensgeschichte, aus Gauguins Beziehungen zu nach westlichem Standard minderjährigen Polynesierinnen und vom Besuch des Sammlers Victor Segalen auf Hiva Oa kurz nach dem Tod des Malers. Gaultiers vereinfachte Bilder geraten zu einem Gegenentwurf zum späten Gauguin - selten so üppig-tropisch wie das Cover. Stattdessen dominieren auf den knapp 90 Innenseiten Schatten und dunkle Innenraum-Brauntöne. Der Himmel, so er überhaupt einmal blau ist, bekommt in Gaultiers Tablaus keinen Raum - die dunkle Seite der von Mission & Kolonialismus malträtierten Südsee. Ergänzt von einem Vorwort des Szenaristen und zeitgenössischen Fotografien der Protagonisten. sr www.knesebeck-verlag.de



 

 

 
 

Das Überleben der Spezies

 
 

Paul Jorion & Grégory Maklès - Egmont Graphic Novel

 
 

"Reden wir über den Profit..." Eine "kritische, aber nicht ganz hoffnungslose Betrachtung des Kapitalismus" verspricht der Untertitel dieser schwarzhumorigen Lehrstunde von Wirtschaftskolumnist Paul Jorion und Zeichner Grégory Maklès. Sie meinen: „Die Ökonomie ist eine viel zu ernste Angelegenheit, um sie Ökonomen zu überlassen.” Wohlan, etwas kompetent aufbereitete Gesellschaftskritik zum Rollenspiel von Arbeitnehmern, Bossen und Kapitaleignern können wohl die meisten Graphic Novel-Leser vertragen. Bis zur postulierten Ausrottung bleibt nicht mehr allzuviel Zeit, dennoch genug, um die aktuelle Neuheit aus dem Hause Egmont zur Hand zu nehmen. Wer sich über Erkenntnisse konkrete Lösungen für das immerneue `rat race´ erhofft, wird von den in s/w-grün gehaltenen Schilderungen vielleicht enttäuscht sein, satirisch gekonnt aufbereitete Déja-Vu´s gibt es jedoch zuhauf, den wer hätte das "Spiel von der Verteilung der Überschüsse" nicht durchschaut? Die gleichgeschalteten Arbeitnehmer erscheinen als Playmobil-Figuren, die Kapitalisten tragen Zylinder, die Börsenmanager Eishockey-Torwartmasken und Obama darf die Bar schmeissen. Aber das Autorengespann hat die nachfolgende Genration noch nicht aufgegeben. sr www.egmont-graphic-novel.de


Die Chronik der Unsterblichen 3: Der Vampyr

Benjamin von Eckartsberg & Chaiko - Egmont Ehapa

Die Zahlenarie im Titel verrät es - hier gibt es Sequelware. Die Fortsetzung des mittlerweile auch in der Comic-Nation Frankreich erfolgreichen, bisher 2-bändigen Fantasy-Werks, das auf der Buchreihe des deutschen Autoren Wolfgang Hohlbein basiert, wird mit einem ganz neuen, jungen Zeichner angegangen. Chaiko aus Shanghai ist bisher durch ein eher manga-nahes Oeuvre bekanntgeworden und tritt nun für "Der Vampyr 1" in die Fußstapfen von Artwork-Vorgänger Thomas von Kummant. Die grobe Story: Andrej Delany und der Junge Frederic verfolgen das Sklavenschiff von Abu Dun, um die dort Gefangenen zu befreien. Es kommt zum Kampf, nur Abu Dun, Andrej und Frederik überleben. Das Trio macht sich an die Verfolgung der Angreifer, eines Drachenordens aus Siebenbürgen. Chronik-Fans werden das düstere Setting lieben, aber die stete Abfolge blutiger Kämpfe gerade gegen Ende des Bandes ermüdet - zumindest den Rezensenten... sr Benjamin von Eckartsberg wird am 7.12. ab 18.00 im Münchner Comic Cafe im Werstattkino zu Gast sein. www.chronik-der-unsterblichen.de www.hohlbein.de www.chaiko.net www.egmont-comic-collection.de

 

Pablo 3: Matisse

Julie Birmant & Clément Oubrerie - Reprodukt

Schon die Einstiegsseite nimmt den Betrachter wieder gefangen. Mit Fernande Oliviers Blick aus dem Zugfenster auf die französische Mittelmeerküste ist man gleich mittendrin im dritten Band des im besten Sinne kunstvollen Comics über die jungen Jahre Pablo Picassos. Mit seiner Muse Fernande, die Pablo mit dem einige Jahre zuvor nach Tahiti ausgewanderten und dort `verwilderten´ Gauguin (s.u.) vergleicht, ist Picasso über Barcelona ins katalonische Bergdorf Gosol gereist. Dort malt er wie ein Besessener, geht dann aber wieder nach Paris in seine alte, verlauste Bleibe zurück, um sich 1906 mit Unterstützung der von ihm portaitierten Gertrude Stein mit seinem größten Rivalen zu messen: Henri Matisse. Einmal mehr erzählen Julie Birmant und Clément Oubrerie hier leichthändig und detailfreudig. Man bedauert es jetzt schon, dass sich das Duo mit seinem Serienprojekt auf die jungen Jahre Picassos beschränkt hat und nun nur noch der bei Dargaud in Frankreich bereits erschienene, abschließende vierte Pablo-Band aussteht. www.oubrerie.net/p/pablo.html www.reprodukt.com

 

Rattelschneck - Meister der komischen Kunst

Rattelschneck / Kunstmann

Mit dem 21. Band der von WP Fahrenberg herausgegebenen Reihe von `stilbildenden Klassikern und daueraktuellen Bildwerken in vortrefflicher Druckqualität´ gesellt sich zum illustren Kreis solcher Humoristen wie Loriot, Waechter, Poth, Gernhardt, Seyfried oder Haderer das Duo Rattelschneck aka Marcus Weimer (u.a. "Dische"-Zulieferer) & Olav Westphalen (Performance-Prof an der Akademie in Stockholm). Ihr von der "Zeit" als `Caricature brute´ geadelter Zeichenstil mag umstritten sein, trifft in Kombination mit oft asurden, aber genauer Beobachtung entsprungenen Textblasen oft genug genau ins komische Schwarze. Die Arbeitsteilung bei den pseudo-dilettantisch zu Papier gebrachten Klumpenkumpan-Stories zwischen Professore Olav und seinem Partner, dem Dings zu verschleiern, ist dem Duo ein steter Quell interner Belustigung. Und wie um zu widerlegen, dass der typische Rattelschneck-Witz nur gezeichnet funktioniert, klingt (sic!) schon im Vorwort von Titaniker Oliver Maria Schmitt über `die beiden Rattelschneck-Typen´ auch aktuell Besinnliches zum Feste an: Weihnacht bei Legasthenikers - "Kungl, Gölckchen, knigelnigel knilg." sr www.kunstmann.de

 

 

 


LIVETIPP ComicCafe München

 

 

 

 

 

 

 

TIPP

 





 

 
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