REVIEWS CROSSOVER 09-2016
Matthias Arfmann presents Ballet Jeunesse
UMC / Universal
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Ein zwiespältiges Vergnügen. "Hui, das war ja jetzt ´ne ganze Menge. Was bin ich denn jetzt eigentlich?" mag man mit Schorsch Kamerun nach dessen stimmlicher Tour de Force über Auszügen aus Khachaturians Säbeltanz fragen. An dieser Stelle des Albums sind die 14 weiteren Beiträge durchgelaufen, Dub-Mix-Versionen von Stravinskys Feuervogel, Debussys (Prélude à) L’après-midi d’un Faune, Bizets Carmen oder Tschaikowskys Der Nussknacker bis Prokovievs Peter und der Wolf. Nach den Deutsche Grammophon-Karajan-Aufnahmen macht sich der Hamburger Musikproduzent Matthias Arfmann (Turtle Bay Country Club) nun also an Klassisches, das originär oder später umgeschrieben als Ballettmusik diente. Die orchestralen Originale wurden mit dazukomponierter Elektronik versetzt und teils mit Text kombiniert - auf der Gesangsspur landen Arfmanns Langzeit-Mitarbeiterin Onejiru & Gastkünstler wie KRS One oder Kele Okereke (Bloc Party). Ob inspiriert von Sergej Djagilews Ballets Russes oder vornehmlich im Major-Bemühen, `digital natives´ einen neuen Zugang zu klassischer (Ballett-)Musik zu zimmern - die aufwendigen Vorarbeiten für ein solches Langzeit-Projekt (von den Prokoviev-Erben etwa fingen sich Arfmann & Co zunächst diverse Male `Njet!´ ein) sollen an dieser Stelle nicht abgetan werden. Doch nicht für Prokovievs Urenkel klingt es stellenweise arg nach Ace of Base (für Arfmann erklärtermaßen ein Kompliment) oder Neneh Cherry-Abklatsch - und Jan Delays Lispeln über Peter & der Wolf ist kein Vergnügen. Etwas Beratung hätte der Hamburg-Connection vielleicht hier & da gutgetan. Play Tracks 2, 8, 15. |
LIVE |
Am 06.09. erste Parts `live´ in der Yellow Lounge Berlin mit Onejiru, Peter Imig & Sebastian Maier.
Am 21.09. ist die Weltpremiere mit Matthias Arfmann & den Hamburger Symphonikern im Rahmen des Reeperbahn Festivals geplant. |
Johann Johannsson - Orphée
Deutsche Grammophon / Universal
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Mitte September ist es soweit und Jóhann Jóhannssons Spurensuche nach den großen, existenzielle Gefühlen, personifiziert vom antiken Liebespaar Orpheus und Eurydike, wird offiziell veröffentlicht. Interesse für Orphée war bereits mit dem vorab lancierten Musikvideo zum Opener Flight From The City geweckt worden. Der isländische Komponist, Keyboarder & Filmemacher mit Erfahrungen in Pop, Theatermusik und moderner Klassik, hat sich zuletzt insbesondere als Filmkomponist einen Namen gemacht, etwa mit dem Oscar-nominierten Score für Sicario oder der Golden Globe-dekorierten Musik für The Theory of Everything. Mit dem ersten Studioalbum seit sechs Jahren bestätigt Johannsson sein Talent für melancholisch-dichte, cinematische Klangflächen, ob in sparsamer oder breiterer Instrumentierung. "Dieses Album ist eine indirekte Reflexion über persönliche Veränderung" - Jóhannsson selbst über Orphée. Für den Herbst ist gesorgt. |
TIPP |
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Alarm will sound presents Modernists
Cantaloupe / Naxos
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Alle in Deckung, hier kommen die Modernisten. Nicht die aus der Literatur oder Architektur, die musikalischen Neutöner wohlgemerkt. Das experimentelle Revolution Nr.9 der Beatles (deren vielleicht unpopulärstes Werk hier im Arrangement von Matt Marks) markiert den Anfang und es bleibt fordernd: Charles Wuorinen, Wolfgang Rihm, Edgar Varèse - auch AWS Pianist John Orfe ist mit einem Werk vertreten. Mit dem vorliegenden Querschnittt durch genresprengende Versuchsanordnungen der anstrengenden Art möchte das 20-köpfige Experimental-Ensemble Alarm Will Sound mit seinem Dirigenten Alan Pierson den einen oder die andere Neuhörer(in) für modern(istisch)es Musik-Repertoire zu interessieren. In der vorliegenden, gerade auch optisch herausstechenden Verpackung könnte das durchaus gelingen. Art Direction & Design: Adam Koon. http://adamkoon.com/#/modernists |
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Teho Teardo & Blixa Bargeld - Nerissimo
Specula - Audioglobe / Rough Trade
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Die italienisch-deutsche Kreativ-Freundschaft zwischen Teho Teardo und Blixa Bargeld wird mit Nerissimo fortgeführt: Der Einstürzende Neubauten-Sänger tut sich zwei Jahre nach ihrem gemeinsamen Album-Debüt Still Smiling erneut mit dem italienischen Filmmusik-Komponisten & Musiker Teho Teardo zusammen. Gemeinsam auf Tour, präsentierten die beiden das neue Album u.a. in der Münchner Muffathalle. Bargelds markante Stimme, ummantelt von Teardos Gitarre, Bass- & Bariton-Klarinette - und einem Streichquintett. Im vorab lancierten Interview mit der AZ witzelten die Musiker unlängst über den Einstieg in den Darkwave-Markt und erwägten gar Piercings. Voller Körpereinsatz also. Zum Artwork des Albums wurden sie vom Renaissance-Gemälde Die Gesandten inspiriert (Hans Holbein der Jüngere, 1533) und zwar wegen der Referenzen zu Philosophie, Religion Illusion & Sterblichkeit. Schwarz, schwärzer...und Spaß dabei. |
TIPP |
Letztes Neubauten-Album Lament |
Luigi Palombi - Duke Ellington - Piano Works
Dynamic / Naxos
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Der klassische Pianist Luigi Palombi spielt auf der vorliegenden Aufnahme die wichtigsten Piano-Werke von Cotton Club-Legende Edward Kennedy `Duke´ Ellington. Ist es zwingend, sich Stücke einer der einflussreichsten Jazzgrößen unserer Zeit in der Interpretation eines (rein) klassisch geschulten Musikers anzuhören? Vor allem, wenn eigene Aufnahmen Ellingtons, der seine Ensembles vom Piano aus leitete und Stücke eher intuitiv, über das Gefühl, als über Noten erfasste, ohne Schwierigkeiten verfügbar sind? Wohl eine Diskussion für Puristen. Abseits davon, dass der italienische Pianist auch mit Filmmusik-Stars wie Nicola Piovani oder Ennio Morricone arbeitet und der `Duke´ sich in späteren Jahren vermehrt klassischen Kompositionen zuwandte, ermöglichen Palombis schlüssig aus der ganzen Spanne des Schaffens Ellingtons von 1913 bis 1973 ausgewählte Versionen dem Interessierten diverse Vergleiche - schon beim Opener Soda Fountain Rag (auf Ellingtons 1972-er Album Live at the Whitney). Ohne an dieser Stelle weiter ins Detail gehen zu können, Palombi macht seine Sache keineswegs akademisch und meistert auch Stride Piano-Passagen. Im Booklet italienische & englische Linernotes - von Luigi Palombi selbst. |
TIPP |
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The Santa Fé Opera - Cold Mountain
Pentatone / Naxos
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Altmodisch, pathetisch, langweilig? Der Oper (aus amerikanischer Feder) als moderne Kunstform widmet sich das Pentatone Label mit seiner American Operas-Serie. Sicher nicht jedermanns favorisierte Kunstform, doch bemühen sich gerade in Amerika Pulitzer-Preisträger, Grammy- und Oscar-Gewinner darum, das Genre mit interessanten Stoffen lebendig zu halten. Etwa die Pulitzer-dekorierte US-Komponistin Jennifer Higdon mit Cold Mountain, basierend auf dem 1997 mit dem National Book Award ausgezeichneten Roman von Charles Frazier - wie die Verfilmung von 2003 mit Nicole Kidman, Jude Law & Renée Zellweger (Score: Gabriel Yared). Am 1. August 2015 als Weltpremiere, an der Santa Fe Opera aufgeführt unter der Leitung von Miguel Harth-Bedoya - und live für das nun in opulenter Ausstattung als Box vorliegende SACD-Doppel-Album mitgeschnitten. Die gebildete Pfarrerstochter Ada Monroe (Isabel Leonard) und der einfache Handwerker Inman (Nathan Gunn) lernen sich zögerlich kennen, doch das ungleiche Paar wird auseinandergerissen - vom Beginn des Sezessions-Krieges. In dessen grausamen Wirren müssen sich beide behaupten - bis zum Wiedersehen... Der eine oder andere Fan des Films könnte sich auch für die (mit 2 1/2 Stunden etwa gleich lange) Opernversion interessieren. |
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The Sound of EriK Satie
Erato / Warner
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Wir bleiben - zunächst - am Piano: Mit der zum 150. Geburtstag von Erik Satie veröffentlichten 3-CD-Edtion: The Sound of... . Wegen angeblich fehlender Begabung mit 21 vom Konservatorium geflogen, komponierte der musikalische Querdenker ohne Taktstriche und gab seinen Werken öfter absurd wirkende Titel wie etwa Stücke in Birnenform. Insbesondere das Piano-Oeuvre, angeführt von den Gymnopédies & Gnossiennes, ist hundert- ja tausendfach eingespielt. Etwas weniger bekannt sind Saties Werke für Chor & Orchester auf der dritten der vorliegenden CDs. Ob als komponierender Dadaist, Sozialist, Esoteriker oder Kritiker von Institutionen - dem musikalischen Establishment, außer vielleicht Claude Debussy, galt Satie zu Lebzeiten eher als verkrachte Existenz. Der Ruhm kam zu spät für den 1925 verarmt Gestorbenen. Hier sind u.a. Satie-Einspielungen von Aldo Ciccolini und Anne Queffélec, Alexandre Tharaud, Catherine Collard oder der Filmmusik-Größe Michel Legrand enthalten. |
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Lubomyr Melnyk - illirion
Sony Classical
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"Lubomyr Melnyk: Kung Fu-Meister des Klaviers: Dieser Pianist ist ein wunderlicher Heiliger, ein Prophet harmonischer Klavierkünste, und bricht alle Rekorde im Schnellspielen." (Rondo Nr.3/2016). Seine 'Continuous Music' fusioniert in etwa Spätromantik & US-amerikanische Minimalisten, mit denen der ukainisch-kanadische Komponist erklärtermaßen im Pianostudium in Berührung kam - ob das so revolutionär ist, wie in den Linernotes zu Melnyks aktuellem Album konstatiert (von einem ´ergebenen Fan´ namens Charles Bettle), sollen Kundigere entscheiden. Die überbordenden, repetitiven Klangkaskaden sind zweifellos mit einer gewissen Geschwindigkeit dargeboten (Melnyk nimmt in Anspruch, mitt 19,5 Noten pro Sekunde der schnellste Pianist der Welt zu sein) - die Noten wirken herausgeschleudert wie impressionistische Bildpunkte in einem kaum versiegenden Pianostrom. Doch wirklich interessante Melodien sucht der Rezensent vergeblich, das Interesse erlahmt in der Überlänge. Und was bleibt, ist die Irritation über Verpackung & Inszenierung der Musik dieses Tasten-Rasputin. |
LIVE |
Sa. 3.12. Christuskirche Düsseldorf
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Mockemalör - Riesen
Jazzhaus / In-Akustik
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"Hund frisst die Frage nach dem Sinn... Aus rot wird grün aus gelb wird blau. Die Ordnung bricht. " Keine Texte von der Stange liefert Magdalena Ganter, Frontfrau der Wiener Band Mockemalör, auf deren zweitem Album, produziert von Produzent Zebo Adam (Bilderbuch). Ganter schlüpft für Riesen am Mikro in multiple Persönlichkeiten von Absage-Psycho bis Punkerengel, während die Ergänzungsspieler Simon Steger (p, synth) & Martin Bach (dr) eine Art Elektro-Chanson-Soundbed mitzimmern, in dem es überwiegend zugänglich genug zugeht, um wave-affine Hörer bei der Stange zu halten. Das ist in den besten Momenten auch genreübergreifend interessant, tendiert mit zunehmender Spieldauer aber öfter arg in Richtung Theatermusik. Nicht jedermanns Tasse Tee, trotz des menschen-riesen-freundlichen Statements im Booklet. Auf die Bühnenpräsenz wird´s ankommen. Tour im Oktober, Beginn in München. Play Tracks 1-3,8. http://mockemaloer.de. |
LIVE |
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soundwalk collective & jesse paris smith feat. patty smith - killer road
Pias Coop - Bella Union / Rough Trade
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Mit Killer Road, dem gemeinschaftlichen Soundscape-Projekt des Klangkunsttrios Soundwalk Collective mit Patti Smith und ihrer Tochter Jesse Paris Smith, gelingt eine bisweilen hypnotische Erkundung & Verarbeitung des Todes von Christa Päffgen, auch bekannt als Nico (Velvet Underground). Nico starb überraschend 1988 im Alter von 49 Jahren - nach einem Fahrradunfall auf Ibiza. Stephan Crasneanscki, Simone Merli und Kamran Sadeghi vom Soundwalk Collective erstellten Field Recordings von den letzten Stationen Nicos auf der Baleareninsel. Über der mit Samples von Nicos Instrument, dem Harmonium, und Beiträgen von Jesse Paris Smith kreierten Klanglandschaft trägt Rockpoetin Patti Smith bisher unveröffentlichte Gedichte von Päffgen vor. "Killer Road" wurde bereits in New York, London und Berlin audiovisuell aufgeführt, erscheint jetzt aber erstmals als Audio-Album. Im Booklet ist ein Gespräch von Stephan Crasneanscki mit Patti Smith über dieses Tribute to Nico abgedruckt. |
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