Charlie Hebdo-Survivor Luz - Vernon Subutex II & Preis in Angoulême!
- Best Album Award - Awards Fauve d'Or -Weiterer Paukenschlag für Rénald Luzier aka Luz, der bei der gerade zu Ende gegangenen 52. Ausgabe des Festival d´Angoulême den Haupt-Preis für das beste Album des Jahres gewinnt. Die im Verlag Albin Michel erschienene Geschichte Deux filles nues erzählt vom Schicksal des Gemäldes Zwei weibliche Halbakte, das der deutsche Expressionist Otto Müller kurz nach dem 1. Weltkrieg gemalt hatte. Unter der Nazi-Herrschaft beging der jüdische Käufer des Bildes, Ismar Littmann, Selbstmord - das Gemälde wurde, wie so viele, als `entartete Kunst´ beschlagnahmt & verkauft. (s. Ausstellung im Nationalmuseum Picasso-Paris, ab 18.02.25, incl. Grosz` Metropolis) → 1976 ging das Werk in die Sammlung des Museums Ludwig über, wurde 1999 an Littmanns Erben restituiert - und gleich für das Kölner Haus zurückerworben. Luz besuchte das Museum zur Recherche - damals noch heimlich... Der wichtige, hochaktuelle Triumph für das Gedenken an die Nazi-Opfer sowie für Kunst- & Meinungsfreiheit lässt hoffen! www.bdangouleme.com/selections-officielles-2025/album/308 Das im Oktober in Frankreich erschienene Deux Filles Nues wird bereits im Mai von Reprodukt - unter dem (Bild-)Titel Zwei weibliche Halbakte - auch hierzulande auf deutsch veröffentlicht:
https://reprodukt.com/collections/luz/products/zwei-weibliche-halbakte |
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Vernon et Charlie... Am 7.Januar 2015 erschien der erste Band von Virginie Despentes`Roman-Trilogie Vernon Subutex. Und am selben Tag geschah bekanntlich noch etwas anderes...
* Vernon Subutex 1 * Vernon Subutex 2 * Wir waren Charlie * Katharsis * Die Leichtigkeit * Bataclan * Love Is Love * TIPP Im Dortmunder schauraum: comic + cartoon läuft aktuell - noch bis zum 26.Januar 2025 - eine kleine Ausstellung zu 10 Jahre nach `Je suis Charlie´. 24 Cartoons, Karikaturen & Eindrücke zum Terroranschlag und zum Thema Kunstfreiheit. |
vernon subutex Teil 1
Virginie Despentes & Luz / Reprodukt - von 2022
Allen voran der Comic-Doppelhammer Vernon Subutex, mit dem sich Rénald Luzier aka Luz endgültig kathartisch aus seinem Attentats-Trauma als Überlebender gearbeitet hat. Kaum ein literarisches Werk hat in den letzten Jahren in Frankreich für ähnlich viel Furore gesorgt wie die gleichnamige Roman-Trilogie. Am Beispiel diverser urbaner Soziotope der französischen Hauptstadt seziert Bestsellerautorin Virginie Despentes darin die modernen Neurosen unserer Gesellschaft und erweist sich mal als scharf analysierende Feministin, mal als sprühende Erzählerin. Mit ihrem Wunschzeichner Luz hat sie für die zweibändige Comic-Adaption die Idealbesetzung gefunden: Der bleibt in seiner Interpretation dem dreckigen Sound der literarischen Vorlage treu – analog zu Virginie Despentes' rotziger Sprache sind auch seine Zeichnungen sowohl rough cut wie akkurat auf den Punkt. In der `Première Partie´ fällt das Erwerbsmodell des kaum einer süchtigmachenden Substanz abgeneigten Pariser Plattenhändlers Vernon durch den Tod seines Kumples Alex Bleach in sich zusammen. "Bevor die Nachricht im Gehirn explodiert, bleibt sie hängen wie ein alter Diamant in der Rille einer zerkratzten Vinylplatte... Wer zahlt jetzt seine Miete?" |
TIPP |
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vernon subutex Teil zwei
Virginie Despentes & Luz / Reprodukt - neu: 2024
Und es geht weiter mit der bebilderten Populärmusik. Das legendäre Clappcover von Jimi Hendrix´ Electric Ladyland etwa - natürlich "die englische Erstpressung von 1968 auf Track Records" - als die eine Platte, die zuvorderst auf die berühmte einsame Insel mitmüsste, wird den Leserinnen & Lesern auch im zweiten Band wiederbegegnen, der Ende letzten Jahres endlich auch in der deutschen Übersetzung von Lilian Pithan und Claudia Steinitz bei Reprodukt erschienen ist. Virginie Despentes hatte (aus drei mach zwei) - gemeinsam mit Luz - die "Geschichte fast vollständig überarbeitet". Das hatte beim feministisch-musikverrückten Duo zwar zwangsläufig "fast selbstmörderische Züge“ (Luz) - aber auch die oben angesprochene, erwünschte, reinigende Wirkung. Mit gewohnt wildem Strich geht es also weiter auf der sozialen Irrfahrt des Pariser Freaks. Die Fangemeinde, die sich in der längeren Wartezeit auf den Comic-Teil zwo zumindest auch mittels der gleichnamigen TV-Serie (u.a. 2019 auf Arte gelaufen) über Wasser halten konnte, darf nun einmal mehr in Panelform mitverfolgen, wie das moderne Zeitalter digitaler Tauschbörsen und Streamingdienste den sozialen Abstieg von Vernon S. einleitet und vorantreibt – bis hin zum Leben auf der Straße. Ohne viel zu spoilern: dabei begegnet er zu seinem Glück zahlreichen alten Freundinnen und Weggefährten...
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wir waren charlie
Luz / Reprodukt
1 Nur wenige Monate nach dem verheerenden Anschlag auf die Charlie Hebdo-Redaktion vom7. Januar 2015 erschien bereits Rénald Luziers Zeichenband Katharsis, mittels dessen der Satiriker (wie auch Kollegin Catherine Meurisse mit ihrem 2017 veröffentlichten Die Leichtigkeit) sein Trauma als zufällig Überlebender zu bewältigen suchte. Während vier weitere Hebdo-Zeichner, Jean Cabut (`Cabu´), Bernard Verlhac (`Tignous´), Philippe Honoré und Georges Wolinski, Herausgeber Stéphane Charbonnier (`Charb´), dessen Personenschützer und fünf weitere Verlagsangestellte erschossen wurden, kamen Meurisse und Luz, der genau an diesem Tag Geburtstag hatte, zu spät zur Redaktionssitzung... Fünf Jahre nach dem Terrorakt setzt der 1972 in Tours geborene Zeichner nun seinen früheren Kolleg(inn)en ein Denkmal. Während einer schlaflosen Nacht (farbig getuscht) verfolgen Luz die zahlreichen Erinnerungen an das intensive Schaffen zwischen lauter anderen Satire-Verrückten. Diese schwarz-weiß gehaltenen Rückblenden vermitteln auch in der französischen Politik der 90er & 00er Jahre weniger Bewanderten (denen zudem ein vierseitiger Anhang mit Anmerkungen auf die Sprünge hilft) einen lebendigen Eindruck von der Arbeitsatmosphäre bei Charlie Hebdo, immer angetrieben vom nächsten Redaktionsschluß. Hitzige Diskussionen, familiärer, von Engagement, Leidenschaft und Frotzeleien geprägter Ton. Eine Hommage an die Satire-Redaktion Frankreichs. Im Original Indélébiles (also Die Unauslöschlichen), nimmt der deutsche Titel Wir Waren Charlie auf den Solidaritäts-Slogan von 2015 Bezug: Je suis Charlie. |
TIPP |
Hitzige Diskussionen, familiärer, von Engagement, Leidenschaft und Frotzeleien geprägter Ton. Eine Hommage an die Satire-Redaktion Frankreichs. Im Original Indélébiles (also Die Unauslöschlichen), nimmt der deutsche Titel Wir Waren Charlie auf den Solidaritäts-Slogan von 2015 Bezug: Je suis Charlie.
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Katharsis
Luz / S.Fischer - von 2016
Zu spät zur Hinrichtung. Weil Satire-Zeichner Rénald Luzier alias Luz am 7. Januar 2015, seinem Geburtstag mit seiner Frau länger im Bett blieb, kam er zu spät zur Redaktionskonferenz von Charlie Hebdo, die acht seiner Kollegi(inn)en nicht überlebten. Zwar entwarf Luz das Titelbild der nächsten, millionenfach verkauften Ausgabe (Tout est pardonné) - geriet dann aber zunehmend in eine Zeichenblockade und verließ Charlie Hebdo im Mai 2015. Doch irgendwann platzte der Knoten. "Ich hatte jetzt das Bedürfnis, zu zeigen, wie es in meiner inneren Welt aussieht." Mit dem vorliegenden Band Katharsis gelang es dem Künstler, den Anschlag (und seine Rolle dabei) zu verarbeiten - seine Erschütterung und Depression, seinen persönlichen Horror, Unglauben, Verzweiflung, Schuldgefühle, Wut und Lebenswillen in Tusche herauszuschreien. Und das, ohne ins nationalistische Helden-Horn zu stoßen oder (schwarzen) Humor gänzlich zu verbannen. Beim diesjährigen Comic Salon Erlangen erhielt Luz für seine Katharsis den Spezialpreis der Jury. |
Auch sie entkam dem tödlichen Attentat auf die Charlie Hebdo-Redaktion nur, weil sie zur Redaktionssitzung am 7. Januar 2015 zu spät kam. Catherine Meurisse, seit vielen Jahren für CH als Karikaturistin tätig, wird durch den Anschlag auf eine andere Art als die Todesopfer aus ihrem bisherigen Leben gerissen. Wie danach weitermachen? Wie Die Leichtigkeit wiederfinden? Nachdem jede(r) um sie herum "Charlie" zu sein vorgibt - was bleibt dann für sie übrig? Meurisse, erst einmal ohne Orientierung, hat dissoziative Störungen, sucht in der Natur und in der Welt der Kunst nach Schönheit, reist nach Italien. In ihrem sehr persönlichen Zeichenband gibt Meurisse der Trauer und Verstörung Raum. Kurz vor Veröffentlichung entzog sie sich erneut den vorhersehbaren Interviews der Presse. Das Echo im Feuilleton war dennoch so groß, dass für unsere kleine Redaktion kein gedrucktes Rezensions-Exemplar übrig war. Vom 7. bis 9. März wird die Pariser Zeichnerin ihr Buch in Berlin, Hamburg und Frankfurt präsentieren: Veranstaltungs-Details. |
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Bataclan - Wie ich überlebte / love is love
Fred Dewilde * V.A. / beide: Panini - beide von 2017
Freitag, der 13. November 2015. Während im Stade de France die deutsche gegen die französische Fußball-Nationalmannschaft spielt, erschüttert eine Reihe von Detonationen und Schusswechseln die Pariser Innenstadt. Im Rock-Venue Bataclan werden während des Konzerts der Eagles of Death Metal an diesem Abend 90 Menschen ermordet, etwa 40 weitere sterben an anderen Schauplätzen. Angesichts der Fakten, dass mindestens drei Terroristen im Bataclan mehr als zwei Stunden lang von der Empore das Feuer eröffnet und sogar Handgranaten in die Menge geworfen hatten, grenzt es an ein Wunder, dass es nicht noch mehr Opfer unter den etwa 1500 Konzertbesuchern gab. Unter ihnen der Grafikdesigner & Autor des vorliegenden Bandes Wie ich überlebte (im Original Mon Bataclan), Fred Dewilde, der seine Aufarbeitung der Erlebnisse in einen 15-seitigen, durchgängig gezeichneten Teil (Kiss The Devil) zu den 3 Stunden des Anschlags und einen 26-seitigen Schriftteil mit vereinzelten Zeichnungen (Zurück ins Leben) über das knappe Jahr danach unterteilt. Bezüglich der Zeichnung der Attentäter entschied Dewilde sich für eine Abstraktion: die Killer sind als todbringende Skelette dargestellt, "vier Reiter der Apokalypse, nur eben ohne ihre verdammten Pferde." Selber längst Zombie, spien diese Vier den Tod ins Publikum - mit der eindringlichste Moment, mit dem Dewilde auch seine mehrmonatige Zeichenblockade überwand. Der Familienvater hat lange gebraucht, bis er wieder fähig war, das Erlebte kreativ wiederzugeben. Das immer noch ungeordnet wirkende Konvolut von Schwarzweiß-Zeichnungen und Texten mag die Verlagslektoren vor eine schwierige Aufgabe gestellt haben. Im Ergebnis in Zeichnungen & Aufbau über weite Strecken kein Meisterwerk, als Zeitzeugen-Dokument dennoch bemerkenswert. www.panini.de |
P.C.-Punkte
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https://www.cinesoundz.de/soundz/pop/4860-reviews-pop-rock-122015 |
Und noch ein aktueller Comic-Band als Reaktion auf einen Akt des Terrors. Am 12. Juni 2016 wurden bei einem Anschlag auf den Gay-Nachtclub Pulse in Orlando, Florida, 49 Menschen umgebracht. Auf die unfassbare, in der Welt von 2017 aber nicht mehr als ein paar Tage im medialen Raum stehende Gewalttat hin steuern in der vorliegenden Anthologie Dutzende unterschiedlicher Comic-Künstler meist einseitige Zeichnungen bei. Es halten sich die Waage: Mitgefühl, Trauer und Sorge angesichts des Angriffs auf die LBGT-Community mit Hoffnung auf Gleichberechtigung und Frieden die Waage, die sich auch im Titel ausdrückt: Love is Love. Schon allein für Gänsehautmomente wie die vorvorletzte Seite (Damon Lindelof/Leinil Francis Yu) lohnt die Anschaffung. Und überhaupt - mit den naturgemäß zeichnerisch seeehr heterogenen Beiträgen soll an dieser Stelle nicht zu hart ins Gericht gegangen werden, denn: Die mit einem Vorwort von Patty Jenkins, der Regisseurin von Wonder Woman, ausgestattete knallbunte Sammlung dient einem guten Zweck: Von jedem verkauften Band werden immerhin 3 Euro den Hinterbliebenen der Anschlagsopfer sowie dem Lesben- und Schwulenverband (LSVD) gespendet |
P.C.-Punkte |
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