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Jamaika: Gartenparty im Wartestand

Gartenparty im Wartestand

Jamaika versucht, 50 Jahre politischer Unabhängigkeit zu feiern. Doch die
größte englischsprachige Karibikinsel erholt sich nur langsam von der
Staatspleite.

Ausgerechnet in Berlin ging das Symbol des Aufbruchs verloren. Seit es auf der
Überseeimportmesse „Partner des Fortschritts" Mitte der 1960er Jahre ausgestellt wurde,
ist „Out of Many, One People“verschollen. Das nach dem Nationalslogan betitelte Bild von
Jamaikas wohl bekanntestem Maler Barrington Watson zeigt eine Bushaltestelle:
Menschen mit afrokaribischem,europäischem und asiatischem Background, sozial und ethnisch
unterschiedlich, im Warten vereint. Das Werk entstand im Jahr der
Unabhängigkeit Jamaikas. Im National Stadium von Kingston, wo heute
Leichtathletik-Weltstar Usain Bolt Trainingsrunden dreht, wurde am 6.
August 1962 der britische `Union Jack´ eingeholt und die
schwarz-grün-goldene Flagge des unabhängigen Jamaika gehisst. Groβ
war der Optimismus, dass man nach Jahrhunderten der Kolonialherrschaft in
eine vielversprechende Zukunft aufbrechen würde. Fünfzig Jahre später
soll das Jubiläum gebührend begangen werden. Doch was ist aus den
Hoffnungen geworden? Was gibt es zu feiern? Und wer bezahlt die Party?

Im April 2012, nach gerade vier Monaten im Amt, musste die neue
Kulturministerin, die ehemalige `Miss World´ Lisa Hanna, eine drastische
Kürzung des Budgets für die geplanten Feierlichkeiten bekannt geben. Nur
noch ein Viertel des von der Vorgängerregierung veranschlagten Betrags
blieb übrig, nämlich J.$ 688 Millionen (etwa US.$ 8 Millionen). Und auch
die wackeln, sollte sich der Privatsektor nicht verstärkt beteiligen. Ein
erstes Highlight ohne Kosten für Staatskasse und Besucher lieferte die
kürzliche jamaikanische Premiere der "Marley"-Dokumentation im
Emancipation Park von Kingston. Kevin MacDonalds 2½stündige Hommage an die
Reggae-Ikone wurde von Tausenden wie gebannt verfolgt. Unter ihnen Ganja
rauchende Rastafari mit Obrigkeitsallergie, die gegen das Betreten des in
ihren Farben Rot, Gold & Grün gehaltenen Premierenteppichs antrommelten.
Bob Marley nahm 1962 seine ersten beiden Singles auf. Wie kein zweiter
wurde der Rasta-Musiker seither weltweit zum Kultur-Botschafter Jamaikas.
Die wechselnden Regierungen der Insel versuchten sich seither an dem
Balanceakt, die Popularität des Volkshelden für ihre Zwecke einzusetzen,
ohne sich mit den für die Politik problematischen Aspekten von Marleys
Philosophie gemein zu machen.

"Es besteht bei bestimmten Personen die Auffassung, Marihuana-Konsum wäre
in Jamaika legal. Dem ist nicht so!" lässt sich die jamaikanische
Botschafterin, Joy Elfreda Wheeler aus der Vertretung in Berlin vernehmen.
Auch hierzulande soll "Jamaica 50" gefeiert werden. Zwar leben im Vergleich
zur englischsprachigen Diaspora nur wenige Jamaikaner in Deutschland, doch
das Jamaican Tourist Board möchte mehr Deutsche für Golf- &
Kreuzfahrtreisen auf die Insel begeistern. Auf das Jubiläumsprogramm
wollte man im Januar diesen Jahres Wirtschaftsvertreter, Diplomaten und
Touristiker im Veranstaltungsraum einer Bank einstimmen. Schon dort
zeichnete sich zwischen verzerrten Aufnahmen der Unabhängigkeitszeremonie
und zusammenkopierten Foto-Stellwänden ab, dass für ein Kulturprogramm
kein Geld da ist - obwohl die Sehnsucht nach präsentabler Hochkultur weit
geht. Die zahlreichen Auftritte jamaikanischer Musiker auf deutschen
Festivals oder die "Marley"-Filmkampagne werden kaum mit dem Jubiläum
verzahnt. Umstrittene Dancehall-Texte und der offensive Rauschmittelkonsum
vieler Interpreten bieten den Offiziellen zuviel Angriffsfläche. Eine
privat initiierte Kunstausstellung im Münchner Amerikahaus ab August soll
es nun richten. Doch auch die steht auf finanziell wackligen Füβen.

Trotz der Bemühungen um ein lupenreines Image liefert die Insel weiter
gemischte Schlagzeilen: Gewalt, Armut und Homophobie sind an der
Tagesordnung. Vor allem die ausgeartete Militäroperation in Kingstons
Armenviertel Tivoli Gardens vor zwei Jahren erregte weltweit Aufsehen. Damals starben
mindestens 73 Menschen bei der Jagd auf Drogenbaron Christopher
‚Dudus‘ Coke, der mittlerweile in den USA vor Gericht steht.
Aufgrund öffentlichen Drucks trat Premierminister Bruce Golding von der
konservativen Jamaica Labour Party (JLP) vorzeitig zurück. Die Neuwahlen
am 29. Dezember 2011 verlor seine Partei an die ursprünglich eher links
stehende People’s National Party (PNP).

In dem drei mal sechs Meter messenden Gesellschaftsporträt "The Garden
Party" von Barrington Watson versammelt sich Jamaika sinnbildlich unter
einem ausladenden karibischen Poinciana-Baum „Die siebziger Jahre
waren politisch vom Demokratischen Sozialismus Michael Manleys
geprägt,“ so die am Edna Manley College in Kingston tätige deutsche
Kunsthistorikerin Claudia Hucke. „Viele Jamaikaner fürchteten, ihr
Land könne zu einem zweiten Kuba werden. Wohlhabende und gut ausgebildete
Bürger verlieβen, wie am linken Bildrand angedeutet, ihre
Heimat.“ Rechts findet ein Boxkampf zwischen Manley,
PNP-Ministerpräsident 1972-80, und dem damaligen Oppositionsführer Edward
Seaga (JLP) statt - Sinnbild für gewalttätige Wahl-Scharmützel, die
Mitte der siebziger Jahre zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führten.
Bob Marley versuchte, während des denkwürdigen "One Love Peace"-Konzerts
am 22.4. 1978 zu schlichten, als er die Rivalen auf die Bühne bat und ihre Hände
zu "Jammin´"-Klängen ineinander legte - wiederum im National Stadium von Kingston.
In Barrington Watsons gemalter "Garden Party" aus dem gleichen Jahr steht, anders
als im 14 Jahre zuvor entstandenen "Out of Many One People", eine Gruppe Rastafari in der
Bildmitte.

Jamaikas Wirtschaft erholt sich nur langsam vom Staatsbankrott, den es vor
zwei Jahren erklären musste. Angesichts einer Verschuldung von 146% des
Bruttoinlandsprodukts schloss das Land ein „Stand-By-Agreement“
mit dem IWF über US.$ 1,27 Milliarden ab, Verhandlungen über ein
Folgeabkommen laufen. Doch trägt dies eher zu Jamaikas anhaltender
wirtschaftlicher Stagnation bei: Schuldenabgleich und Zinszahlungen
erdrücken wirtschaftliche Impulse. Auch sonst ist Jamaika von fremdem Geld
abhängig. Franzosen und Chinesen finanzieren die Highways, charmefreie
spanische Massenhotels vermehren sich, die EU subventioniert den
Bananenanbau. Neben Bauxit-Export und Überweisungen im Ausland lebender
Jamaikaner ist der Tourismus die wesentliche Quelle für Deviseneinnahmen.
In den ersten Monaten 2012 stiegen die Besucherzahlen um 20%, die Einnahmen
um fast 5% auf US.$ 814 Millionen, da im neuen Riesenterminal von Falmouth
im Norden der Insel nun auch die größten Kreuzfahrtschiffe Platz haben.

Wirtschaftlich und politisch ist das Commonwealth-Mitglied Jamaika bei
weitem nicht unabhängig. Ziggy Marley, Bobs ältester Sohn, bezieht klar
Stellung: „Wir haben immer noch den Generalgouverneur, den
Repräsentanten der Queen, bei uns am Tisch. Das nennst Du
unabhängig?“ Ähnlich äuβerte sich auch die neue
Premierministerin Portia Simpson-Miller, „Ich liebe die Königin,
eine wunderbare Lady, aber ich glaube, die Zeit ist reif für eine echte
Republik." Das einfache Volk, zu großen Teilen mit kleinen Gefälligkeiten
zur Wahlurne gelockt, interessieren derzeit eher funktionierende
Wasserversorgung und kraterfreie Straßen. Ob sich der Rest des Landes von
der britischen Krone lösen möchte, ist nicht erst seit dem Besuch Prinz
Harrys im April fraglich. Der Prinz kam nicht wegen "Jamaica 50", sondern
aus Anlass des 60. Thronjubiläums der Queen. Und der schnellste Mann der
Welt, der dreimalige Sprint-Olympiasieger Usain Bolt, lieβ sich
untertänig von Harry in einem inszenierten "Wettrennen" schlagen.


© Stefan Rambow 2012