Analog Africa Labelspecial 2021

 

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Gut 15 Jahre ANALOG AFRICA! Höchste Zeit, die herausragende Arbeit von Samy Ben Redjebs von Frankfurt Richtung Bodensee umgezogenem Label an dieser Stelle mit einem Special zu würdigen. Dort steht bereits ein neuer, mit mehreren Digital-Singles angeteaserter Compilation-Release ins Haus: Seventies-Cumbia vom legendären Gitarrero Manzanita aus Trujillo, Peru...

www.instagram.com/analogafrica

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 Mogadisco - Dancing Mogadishu 1972 - 1990

Various Artists - AA No.29 / Groove Attack

1 AA Mogadisco

Top-Fundsache. Von einer Cassette der ministerial abgesegneten Iftin Band (Vol.4) stammt die Covervorlage der sensationellen Mogadisco-Compilation.


Einen Eindruck der vorausgegangenen Recherche vermitttelt das zweiminütige Video auf der AA-Webseite:

https://analogafrica.bandcamp.com/album/mogadisco-dancing-mogadishu-somalia-1972-1991

Tolle Ausstattung sowohl der Digipak-CD als auch der Vinyl-Doppel-LP-Fassung (mit zuätzlichem Download-Code): letztere mit 16-seitigem 4c-Booklet inklusive einer Vielzahl Fotos, Flyer & Zeitungsartikelschnipseln, Texten von Redjeb sowie einem Interview mit Archivar Colonel Abshir, dem die Zusammenstellung Dancing Mogadishu (Somalia 1972-1991) auch gewidmet ist. Der gibt zu Protokoll: „Ich tue dies, damit es die nächste Generation erreicht; damit die Kultur, das Erbe und die Lieder Somalias nicht verschwinden.“

Nach seinem Mogadischu-Abenteuer verwendete der Kompilator weitere Wochen darauf, überlebende, seit den 90ern ins Exil gegangene Musiker aufzuspüren & für die Linernotes zu interviewen. Aus denen lernen wir nicht nur, dass es auch bemerkenswerte weibliche Gesangsbeiträge (u.a von der blutjungen Fadumo Qassim für die renommierte Shareero Band oder von Sahra Dawo, Lead-Sängerin bei Dur-Dur, gab. Sondern auch, dass sich Sänger Omar Shooli, einen anderen seiner Tracks statt der Dhaanto-Nummer Hab Isii gewünscht hätte. Vorläufig sind wir froh, dass Redjeb hier seinen Kopf durchgesetzt hat...

VINYL-TIPP !
 

Eine Recherche wie keine zweite. Jahrelang hatte sich Labelchef Samy Ben Redjeb um eine halbwegs sichere Reise ans Horn von Afrika bemüht, um die Tonbandschätze von Somalias zentraler, seit Jahrzehnten bürgerkriegsartigen Zuständen trotzenden Rundfunkstation zu sichten: Radio Mogadischu, wo Colonel Abshir Hashi Ali, ein ehemaliger Polizei-Offizier, es sich mit seinem Team zur Lebensaufgabe gemacht hat, das umfangreiche Archiv zu digitalisieren - und es auch mutig gegen marodierende und Handgranaten schwenkende Clans zu verteidigen. Todesdrohungen durch die radikal-islamischen Al-Shabaab-Milizen gegen MitarbeiterInnen sind in der somalischen Hauptstadt an der Tagesordnung, viele Angestellte wohnen daher in den bewachten Gebäuden der Radio- & TV-Anstalt. Auch Ben Redjeb wurde während seiner wochenlangen Anwesenheit Ende 2016 täglich von schwerbewaffneter Security zum Sender eskortiert - und Zeuge eines todbringenden Anschlags auf seiner Route. Die Durchforstung tausender Kassetten & Bänder unter diesen extremen Bedingungen war immerhin erfolgreich - Mogadisco bietet mit seinem sehr tanzbaren Querschnitt jedenfalls einen begeisternden Einblick in die lebendige Musikszene Somalias aus der Zeit vor dem Zusammenbruch der Barre-Militärdiktatur 1991. Wir hören u.a. die dem Staats-Kulturkollektiv Waaberi assoziierten Ensembles Dur-Dur und Iftin (mit 3 bzw. 2 Tracks) mit Afrobeat-infiziertem Vintage-Funk (und letztere auch mit einem spacigen Exotica-Track: Sirmaqabe - No Secrets). Bei beiden Ensembles verdingte sich Sänger Ahmed Sharif `Killer´, von dem mit Hoobeya ein Track im reggaenahen Dhaanto-Stil zu hören ist. Als Dur-Dur-Vorgänger lieferte die Bakaka Band mit der bei Lamont Dozier (noch vor Richie Havens & Odyssey) geborgten, catchy Back to My Roots-Gitarrenfigur bei Geesiyada Halgamayow (Brave Fighters) ein schönes Beispiel für die wechselseitige Beeinflussung zwischen afrikanischer & afro-amerikanischer Black Music. Der zweite Bakaka-Track ist die eingängige, wie im Ethio-Jazz bläserverstärkte Reggae/Dhaanto-Nr. Godonimada Jira (Choose Freedom), 1978 oft ausgerechnet für die Truppen im Ogaden-Krieg mit Äthiopien gespielt... es ließe sich jeder der 15 Tracks hervorheben. Nur 15? Die Spitze eines Eisbergs? Eigentlich kaum zu glauben, dass Redjeb nicht mit noch weiteren Stücken ähnlicher Güteklasse im Gepäck den Heimweg angetreten hat.

Play all Tracks !

Space Echo - Cosmic Sound of Cabo Verde

Various Artists - AA No.20 / Groove Attack

1 AA Space Echo

Anti-Saudade-Programm: `The Future Sound of Cabo Verde´ echot durch den Raum. Graphic Design: Kathrin Remest

Play Tracks 1,4,6,7,10,11,15. Auch als Doppelvinyl & Download - hier liegt die CD-Version incl. 44-seitigem 4c-Booklet vor. Rita Só & Jennie Loiseau unterstützen SBR hier bei den Texten & Interviews.

https://analogafrica.bandcamp.com/album/space-echo-the-mystery-behind-the-cosmic-sound-of-cabo-verde-finally-revealed

 

TIPP
 

Auch nicht von schlechten Eltern: das 2016 abgeschlossene AA-Projekt Space Echo. Im Untertitel wird "das Geheimnis hinter dem `Cosmic Sound´ von Cabo Verde endlich gelüftet": die Havarie einer für die brasilianische Exposição Mundial Do Son Eletrônico bestimmten Schiffsladung mit Rhodes-, Moog-, Farfisa-, Hammond- oder Korg-Keyboards & Synthies anno 1968 sorgte für die flächige Versorgung kapverdischer Schüler & Jungmusiker mit fancy elektronischen Instrumenten, die sich später keck im Klangbild der insularen Populärmusik hervortaten. Diese im Booklet-Intro abgedruckte Story aus der Reihe `zu schön, um wahr zu sein´, sicherte der Compilation im internationalen Feuilleton hohe Aufmerksamkeit. In jedem Fall ein smarter Coup, um nach jahrelanger Recherche kapverdischer Musik der 70´s & 80´s international Gehör zu verschaffen, abseits der üblichen Verdächtigen Cesária Évora und Carmen Souza. Bei acht der fünfzehn unter Tausenden ausgesiebten Tracks von den neun bewohnten Inseln des Archipels agierte schließlich Paulino Vieiras Ensemble Voz de Cabo Verde als Backing Band. Deren Mitglieder wie Paulinos Bruder Toy (und einige andere der nach Kolonialzeit & Linksdiktatur im Ausland verstreuten Musiker) spürten Samy Redjeb & Co auf und interviewten sie für das Booklet: Antonio Sanchez, Dionisio Maio, José Casimiro, Quirino de Canto oder Tschiss Lopes - letzteren gar am Tag des legendären 7:1-Fußball-WM-Halbfinals 2014. Die Werdegänge und Geschichten der zwischen den Stationen Kapverden, Dakar, Rotterdam, Lissabon, Paris, den USA oder Südamerika Pendelnden erklären die stilistische Vielfalt der hier zu hörenden Tracks mit arfrikanischen, südamerikanischen, karibischen & lusitanischen Elementen, mit Zutaten wie Afrobeat, Latin-Rock, Disco, Samba, Cumbia oder Merengue - neben dem Cabo-typischen Funana, der bis zur Unabhängigkeit von den portugiesischen Machthabern 1975 verboten war. Im Ergebnis eine rundum lohnende Ton-, Wort- & Bild-Bestandsaufnahme der musikalisch goldenen Jahrzehnte dieses einzigartig-kreolischen Schmelztiegels im Atlantik.

Edo Funk Explosion Vol.1

Various Artists - AA No.31 / Groove Attack

1 AA Edo Funk Explosion

Die Edo-Funk Dreifaltigkeit explodiert - Folge 1. Play Tracks 1,3-5,7,10.

Vol.2 upcoming - Eine zweite Folge, die sich schwerpunktmäßig mit Releases des für den Edo-Funk-Sound stilbildenden Akpola-Labels beschäftigen soll, wird im Booklet angekündigt. Texte von Co-Kompilator Bela Patrutzi, SBR sowie Diego Hernández.

TIPP
 

Vergleichsweise problemlos die Anbahnung der ersten Folge einer Analog Africa-Sound-Exkursion in die Edo-Region an der Küste Nigerias - auch wenn es das Team (neben SBR hier Co-Kompilator & Textautor Bela Patrutzi) mit drei sehr statusbewussten Herren zu tun bekam: dem geschäftstüchtigen Ex-Polizisten Roland Igunma Igbinigie aka Akaba Man, seinem erfolgreichen Weggefährten, dem Joromi-Studio- & Labelchef `Sir´ Victor Uwaifo sowie dem insbesondere für seine sozialkritischen & politischen Texte bekannten Osayomore Joseph, den drei Säulenheiligen der goldenen Periode des sogenannten Edo-Funk. In der Gegend um die Hafenmetropole Benin City, immerhin drittgrößste Stadt des Landes, entwickelte sich nach Bürgerkriegsende in den Siebzigern eine im Vergleich zu Lagos weniger stromlinienförmige, angeschrägten Synthielinien, edgy Bläsersätzen und traditionellen Elementen mehr Raum gebende Highlife-Variante, gleichwohl ebenfalls versetzt mit Disko, Afrobeat & Reggae. Jeweils vier, des öfteren locker sechs Minuten Spielzeit erreichende Tracks illustrieren die Ausnahmestellung der drei Größen aus Benin City, die bis heute mit ihren Bands (The Nigie Rockets, The Titibitis, bzw. The Creative Seven) spielen und die Highlife-Fahne im modernen Autotune-Brei hochhalten. Das Schicksal Osayomore Josephs, der trotz seiner Popularität Ende 2017 entführt und erst nach 30 Tagen gegen Lösegeld freigelassen wurde, beleuchtet dazu auch die dunkle Seite der von Zwangsprostitution & Gewaltkriminalität gebeutelten nigerianischen Gesellschaft. Joseph, dessen Frau von den Kidnappern erschossen wurde, verarbeitete seine traumatischen Erfahrungen im Album 30 Days and 30 Nights in the Evil Forest.

 La Locura de Machuca

Various Artists - AA No.30 / Groove Attack

1 AA LaLocuraDeMachucaDas erste von zwei `Afrodisiaka´ aus Südamerika - diesmal aus Kolumbien: . Tropical Music, Machuca-typisch psychedelisch-karnevalesk ins Bild gesetzt. 

Play Tracks 4,12,13,15. 

TIPP
 

Auch in Südamerika folgt Ben Redjeb seinem bewährten Beuteschema. Im Norden Kolumbiens etwa suchte er rund um die Calle Caldas von Barranquilla die einschlägigen Plattenläden von `Melomanos´, also Musikverrückten wie Alonso Jiménez, José Pacheco oder Julio Padilla auf und hangelte sich dort von Fund zu Fund. Diesmal allerdings geholfen von einer ganzen Riege `hermanos´, rund um Carlos Estrada, Diego Hérnandez & Lucas Silva, ihrerseits bereits seit langen Jahren mit der Materie vertraut. Für AA Numero 30, La Locura de Machuca, galt es, aus kolumbianischen, afrikanischen und psychedelischen Einflüsse gekelterte, im positiven Sinne `verrückte´ Musica Tropical-Highlights des 1975 von `Doctor´ Rafael Machuca gegründeten ikonischen Labels aus Barranquilla, einer Art musikalischer B-Movie-Schmiede Kolumbiens, spezialisiert u.a auf die Verbreitung kolumbianischer, nicht bierernst gemeinter Versionen afrikanischen Hit-Materials - siehe Track 13 von Myrian Makenwa (sic) - für eine breitere internationale Klientel zusammenzustellen. Für uns der Hit der Compilation: Track 12, zur Guitarra aus dem Ruder laufender Männlein/Weiblein-Pillow Talk vom Feinsten - dargeboten von einem untypischerweise im Booklet nicht näher erläuterten Ensemble namens La Banda Africana. Sonst hier viel percussiv-repetitives, nicht unbedingt Hi-Fi-taugliches from "one of the most unpredictable catalogues in coastal Colombian music".

 jambú - e os miticos sons da amazonia

Various Artists - AA No.28 / Groove Attack

1 AA JambuMythische Klänge vom Amazonas - mal was anderes als Samba und MPB aus Brasilien. Play Tracks 2,5,6,10,14,19.

Das Goethe-Institut macht´s möglich - eine kleiner filmischer Eindruck der Recherche hier. An dieser Stelle - wo bleibt eigentlich eine Dokumentation der weltweiten Analog Africa-Aventiuren?

TIPP
 

Für Jambú schließlich begab sich Samy Ben Redjeb, angefixt vom befreundeten australischen DJ-Producer Carlo Xavier auf der Suche nach ursprüglicheren MPB-Alternativen wie Carimbó-, Bangue-, Lundún- & Siría-Klängen der Siebziger nach Belém im nordwestlichen Amazonas-Gebiet. Angeleitet von Ver-o-Peso-Market-gestählten lokalen Sammlern & Wiederverkäufern wie Max Alvim, Zé Maria oder Macos Araújo, gelang es dem Quilombo-Research-Team nicht nur, stilprägende (& nun im prächtigen 44-seitigen Boklet abgebildete) Vinyle zu ergattern, sondern auch einige der für die `mythischen Amazonia´-Klänge verantwortlichen Musiker vor Ort zu treffen und zu interviewen. Gegeben werden lebendige, ungeschliffene, repetitive Carimbó,- Forró- & Siriá-Stücke, die ihre lateinamerikanischen wie afrokaribischen Wurzeln mehr oder weniger offen vor sich hertragen - oft so mehrstimmig wie inbrünstig zu angeschrägtem Blech und wilden Perkussivwirbeln deklamiert. Unters Volk gebracht von gewaltigen mobilen Klangaufbauten namens Aparelhagem Sonora - einer chromblitzenden, mit allerlei Audio- & Video-Komponenten aufgemotzten Variante der Soundsystems Jamaikas. Den Albumtitel liefert eine regionale Pflanze, die sich ihren Platz in der Küche Amazoniens verdient hat, gern auch im Zuckerrohrschnaps genossen, als Cachaca de Jambú. Ohne dieses Dopamin ermattet der Hörer im Trommelwirbel des letzten Drittels etwas - fürs Finale hat man sich eine polternde Nummer des großen Siría-Modernisators Mestre Cupijó und seiner Rhythmusgruppe aufgehoben.

© cinesoundz 6-2021