REVIEWS WORLD 01-2018
Amadou & Mariam - La Confusion / Bko - Mali Foli Coura
Because / Warner * Buda Musique / Membran
Zweimal aktuelle Klänge aus Mali. 1- Mariam Doumbia & Amadou Bagayoko sind mittlerweile Großeltern. Das blinde Musiker-Paar aus Mali, das Ende der 1980er Jahre mit der Veröffentlichung von Kassetten für den Binnenmarkt begann, ist seit Jahren zu einer internationalen Marke anvanciert. Manu Chao produzierte das internationale Erfolgsalbum Dimanche A Bamako, Damon Albarn folgte ihm drei Jahre später an den Reglern. Auch auf ihrem vorletzten Album, Folila von 2012, standen Künstler aus dem Westen geradezu Schlange, um mit den beiden zu arbeiten. Die seitdem instabile Lage im Norden ihrer Heimat hat wohl zur Wahl des neuen Albumtitels La Confusion beigetragen. Aufgenommen wurde in Paris mit dem 80er Jahre-Referenzen nicht abholden Produzenten Adrien Durand, als Gäste sind diesmal vornehmlich afrikanische Musiker wie Kora-Spieler Djeli Moussa Diawara und der Ngoni-Virtuose Youssouf Diabaté mit im Boot. Textlich gibt es im Mix von Bambara und Französisch die gewohnten entwaffnend einfachen Statements, die erste `Erste Welt´-Künstler eher verklausulieren. An die Enkel & Fans gehen A&M-Botschaften wie "Man muß arbeiten im Leben, nicht die Arme verschränken!". www.amadou-mariam.com |
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2- Das nach dem Flughafencode der Hauptstadt Bamako benannte BKO Quintet ist eine Art Supergroup Malis und fand sich bei einem Treffen fünf etablierter Musiker, vier davon aus den verschiedenen Regionen des Landes. Seit 2012 hat die Truppe um Djembé-As Ibrahima Sarr (Oumou Sangaré) gemeinsam schon mehr als 300 Auftritte absolviert. Weiter an Bord: Sänger & Donso-N´goni-Spieler Nfali Diakité, der Griot Fassara Sacko, der für seinen psychedelischen Stil bekannte Djeli-N´goni-Meister Abdoulaye Kone (u.a.Tiken Jah Fakoly, Salif Keita) und der französische Percussionist Aymeric Krol. Man vermutet vom Klangbild her zunächst E-Gitarren - was hier zum traditionellen Gesang so rockig daherkommt, sind aber die elektrisch verstärkten N´goni-Langhalslauten. Der BKO-Sound-Hybrid kommt in `dritter´ & `erster´ Welt an, wovon sich auch Besucher des November-Release-Konzerts in der Berliner Berghain-Kantine überzeugen konnten. Beim letzten Track des Albums trifft BKO auf den französischen Singer/Songwriter Mathieu Boogaerts. http://bkoquintet.com |
Omar Souleyman - To Syria, with Love
Mad Decent
To Syria, with Love. Ist der echt? Fragt man sich unweigerlich, sieht man den sonnenbebrillten, schnurrbärtigen Kopftuchträger Omar Souleyman zum ersten Mal in Aktion. Wirkt der syrische Hochzeits-, Taufen- & Geburtstagssänger doch wie eine B-Movie-Scheich-Karikatur. Dessen ungeachtet hat der Mann nicht nur Basar & Kasbah, sondern mittlerweile große Festivals `gerockt´, mit Björk oder Modeselektor gearbeitet und wird aktuell u.a. von Simian Mobile Disco ge-remixt. Auch auf dem neuen, in die alte Heimat grüßenden Album bringt OS wieder seine sich arg gleichenden, Plastikmukke-unterlegten arabischen/kurdischen Hochgeschwindigkeits-Liebeslieder unters Volk. Deren vermeintlich Techno-nahe Beats und die Arabifizierung europäischer Bahnhofsgegenden machen den Kulturkreis-Crossover möglich. Wer für gut sechs Minuten in die Welt des Omar Souleyman eintauchen möchte - bitteschön: hier das Ya Bnayya - Video. |
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Labelle - Univers-ile
InFiné - Warp / Rough Trade
"Dans le sable, souviens-toi." La Réunion liegt weit abgelegen im Indischen Ozean, 700 km östlich von Madagaskar. Entsprechend wenig bekommt man in der Regel aus dieser Weltecke mit - auch musikalisch. Da die Insel politisch ein Übersee-Département, damit eine Region Frankreichs und Teil der EU ist, gibt es aber auch kulturell einen gewissen Austausch. Wenn etwa der Reunion-stämmige (männliche) Pariser Künstler Labelle (nicht zu verwechseln mit Patti LaBelle´s 70´s Discotruppe) vor sechs Jahren auf die Insel seiner Väter zieht und sich in die dortigen kolonialen Musiktraditionen vertieft. Um dann die lokalen Folk- und Tanzmusikstile Maloya & Sega (hervorragend dokumentiert im der Mitte des Jahres erschienenen La Basse Tropicale-Compilation auf Strut, Oté Maloya) mit experimenteller Elektronik, Field-Recordings, indischer Slide-Gitarre & afrikanischer Kora (Ballaké Sissoko), kreolischem & französischen Gesang zusammenzubringen. Das französische Label InFiné sieht in Labelle´s Album "Frische, Spiritualität, poetische und synkretische Kraft". Auch wenn man nicht ganz so weit im Überbau ausholen will, dieses Univers-Ile klingt in seinen besten Momenten, etwa dem oben zitierten Souviens-toi (feat. Hasawa) in der Tat vollkommen eigenständig. Nach einer Weltmusik im besten Sinne, am ehesten an die transzendierenden Musiktrips eines Hector Zazou erinnernd - etwa die Rimbaud-Hommage Sahara Blue. Memorabel eben. http://www.labelle.re |
TIPP
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https://infine-music.com/news/3014/introducing-labelle https://www.facebook.com/labelle.music/
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Catherine Ringer - Chroniques et fantasies / Alexandre Tharaud - Barbara
Because * Erato / beide: Warner
Zweimal Chanson, mal als Zutat, mal als Hommage. 1- Seit dem Tod von Frédéric Chichin 2007 ist das innovative französische Pop-Duo Les Rita Mitsouko Geschichte. Die verbliebene Stimme, Sängerin & Komponistin Catherine Ringer, veröffentlicht mit Chroniques Et Fantasies nach Ring'n Roll von 2011 aktuell ihr zweites Solo-Album, dass sich wenig vom LRM-Terrain entfernt. In Richtung von deren 1985er Superhit Marcia Baila geht es hier ehesten mit dem zweiten Track, dem funkigen, ganz ähnlich tickenden Ableger Como Va. Ansonsten läuft es wie ehedem - zwischen Avantgarde, Chanson, Musette, Folk, 80s-Referenzen und Rock-Pop navigierend. Das Interesse außerhalb Frankreichs wäre wohl auch ohne das englisch gesunge Intermittent Lover da gewesen. Insgesamt gibt es aber außer für die engere Zielgruppe der Tour de France- & Die Hard-Ringer Fans hier etwas wenig, was haften bleibt. Außer Como Va halt. Play Track 2 - Video. www.catherineringer.com |
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2- Nachhilfe für Chansonverächter und/oder Spätgeborene. Der mehrfache Echo-Klassik-Preisträger Alexandre Tharaud veröffentlicht eine umfangreiche Hommage an die 1997 verstorbene Chansonsängerin (und -Komponistin) Barbara (Brodi)- und löst damit zum 20sten Todestag ein Versprechen aus jenem Jahr ein. In ihrer Heimat eine der größten Genre-Interpretinnen, machte sich Barbara auch um die deutsch-französische Völker-Verständigung verdient: Sie nahm in den 60ern ein Album mit deutschen Texten auf und ließ in ihrem populären Stück Göttingen (hier von Helmut Berger rezitiert) die Eindrücke aus einem Gastspiel am dortigen Jungen Theater Revue passieren. Tharaud versammelt hier für unterschiedlich instrumentierte Interpretationen von 26 Barbara-Titeln Musiker-, Sänger- und Schauspieler-Freunde von Juliette Binoche und Jane Birkin bis zu Vanessa Paradis. www.alexandretharaud.com |
Goran Bregovic - Three Letters from Sarajevo
Mercury / Universal
Mitsamt seines Weddings And Funerals Orchestra lässt sich der bosnische Filmkomponist und Bandleader Goran Bregovic, Sohn einer serbischen Mutter & eines kroatischen Vaters, auf dem neuen Album Three Letters From Sarajevo von der Geschichte seiner Heimatstadt inspirieren. Die enthaltenen Songs, interpretiert von vier ganz unterschiedlichen Stimmen (Rachid Taha aus Algerien, Bebe aus Spanien sowie Riff Cohen und Asaf Avidan aus Israel) und drei Geigen-Solist(inn)en (Serbin Mirjana Neškovic, Tunesier Zied Zouari und Israeli Gershon Leizerson), spiegeln die kulturelle, ethnische und religiöse Vielfalt des kriegsgebeutelten Sarajevo wider. Westliche, orientalische und Klezmer-Tradition kommen eben auf dem Balkan zusammen. Für drei längere Instrumentalstücke sollte es der ganz große, klassische Klang sein - hier arbeitete Bregovic mit einem Sinfonieorchester zusammen. Gleich welche Besetzung, Bregovics Botschaft ist klar: Bei allen Unterschieden - nur gemeinsam kann es voran gehen. |
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Canzoniere Grecanico Salentino - Canzoniere
Ponderosa / Edel
Zunächst ist da mal das Canzoniere-Cover: eine mit Tomatensauce gefüllte Flasche einer weltbekannten Zucker-Koffein-Limo vor grünem Hintergrund. Mit der Schrift des Titels kommen die Farben der italienischen Nationalflagge zusammen - Sinnbild für die von der zweiten Generation des bereits 1975 gegründeten apulischen Folklore-Ensembles Canzoniere Grecanico Salentino (CGS) angestrebte Verbindung von Tradition und aktueller Popmusik. Dessen aktuelles Liederbuch pflegt einmal mehr den Pizzica-Stil seiner Heimatregion Apulien, lässt in den elf Eigenkompositionen (plus Traditional Pizzica De Sira) aber auch clubtaugliche Rhythmen und poppige Elemente einfließen. Das Septett aus Lecce, in dem unter diversen Neuzugängen aktuell zwei Söhne der Bandbegründer spielen, profitiert sicherlich noch von der Vernetzung der alten Garde - in jedem Fall haben sie auf einem Track den Robert Plant-Gitarristen & Kosmopoliten Justin Adams zu Gast. www.canzonieregrecanicosalentino.net/?lang=en |
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Mames Babegenush with Strings
Galileo MC
Mames Babegenush ist ganz offensichtlich jiddisch und klingt erstmal gut. Genauere Backgroundinformationen dazu, wie eine dänische Klezmerband zu gerade diesem Namen fand, sind bisher nicht zur Redaktion vorgedrungen, bedeuten die Worte doch "Mutters Auberginensalat". Schmackhaft ist die Mixtur der Truppe um Akkordeon-Spieler & Komponist Nicolai Kornerup schon - wenn man kein kompletter Genreverächter ist. Auf ihrem fünften Album Mames Babegenush With Strings kommen klassische Elemente ins Spiel, ohne der Spielfreude des Ensembles Abbruch zu tun. Es gab auch deswegen keine Berührungsängste, weil Kornerup die Arrangements rumänischer, ukrainischer und anderer osteuropäischer Melodien einem seit Jahren befreundeten Streichquartett auf den Leib schreiben konnte. Auf elektronische Elemente wurde dagegen diesmal komplett verzichtet. |
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Gili yalo
Dead Sea / Indigo
Wieder so ein furchtloser Äthiopier. Gili Yalo verbindet auf seinem selbstbetitelten, aktuellen Album verschiedene Facetten der Musik seines Heimatlandes mit 70´s Retro-Funk & Soul, Blues, Psychedelia und Pop. Natürlich ist der von seinem um einiges älteren Landsmann Mulatu Astatke mitgestaltete Ethio-Jazz ebenfalls Teil der eigenständig-groovenden Mixtur, mit der der frühere Flüchtling seine Biographie aufarbeitet - in the long run. Mittlerweile steht Yalo im Schmelztiegel Tel Aviv einer fünfköpfigen Band vor und singt alle Stücke selbst - auf Englisch und Amharisch (letzteres klingt klar besser). Mit den Produzenten Beno Hendler (Balkan Beat Box) und Uri Brauner Kinrot (Boom Pam, Ouzo Bazooka) sowie weiteren talentierten Musikern aus der lebendigen Musikszene von Tel Aviv finalisierte Yalo die zweijährige Arbeit an den Songs. www.giliyalo.com * Selam-Video |
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Mr.Zarko - Balkan Herbal Clinic
Kick the Flame / Broken Silence
Und noch einmal Balkan-Programm: Das zweite Album des von Berlin aus wirkenden, serbischen Crossover-Entertainers Arko Jova Evic aka Mr. Zarko aus dem Umfeld des (hier auch kräftig mithelfenden) Bojan Krstic Orkestar. Der Sänger und Songschreiber arbeitet auf Balkan Herbal Clinic mit Musiker(inne)n aus Bulgarien, Rumänien, der Türkei zusammen und bürstet die traditionelle Blasmusik seiner (alten) Heimat mit Gitarrenriffs, Rap-Passagen und weiblichem Background-Gesang gegen den Strich - und benötigte dazu offenbar die Erde des Balkan unter den Füßen. Die neuen 13 Songs wurden teils im serbischen Vladi in Han aufgenommen. Play Tracks 2,4,5,8,9. Ein erstes Konzert für das neue Jahr steht bereits: Am 02.02.18, 20.00 live im Weitblick, Bugewitz. |
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Otros Aires presents Balkan Airs
Galileo MC
Und nun hält es auch noch das spanisch-argentinische (Elektro-)Tango-Ensemble Otros Aires nicht mehr in seiner Genre-Ecke. Balkan Airs heißt das neue Projekt der Band um Mastermind Miguel Di Genova mit dem bulgarischen Produzenten Boyko, das gemeinsame Programm ist klar: Argentina vs. Balkan, Milonga meets Gypsy. Aufgrund der rein räumlichen Entfernung überrascht es nicht, dass beide Seiten dabei gar nicht gemeinsam im Studio waren, sondern die jeweiligen Parts jeweils allein einspielten. Dafür ist der Genre-Hybrid dann doch meist überraschend stimmig ausgefallen - dies aus der Feder eines Weder-noch-Fans. Die Gesangsparts sind für unseren Geschmack hier am wenigsten zwingend. www.otrosaires.com |
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