Reviews Comicz 08 -10 - 2021
Vervirte Zeiten
Ralf König / Rowohlt
Zum gegenwärtigen, großteils unerfreulichen Covid-Management meinte Deutschlands erfolgreichster Comiczeichner Ralf König unlängst in einem Interview, dass ihm einige wohlmeinende Politiker leidtäten. "Die Corona-Krise zu stemmen, war eine Riesenherausforderung. Hat aber nicht so sauber geklappt." Anders bei den Vervirten Zeiten des 61-Jährigen, basierend auf während des ersten Corona-Jahres fast täglich veröffentlichten Internet-Kurzcomics. König reaktiviert sein schon aus früheren Geschichten bekanntes ungleiches Pärchen, den 60-jährigen Bildungsbürger Konrad Stubenburg und dessen notorisch sexversessenen jüngeren Partner Paul Niemöser, Autor der Trash- und Fetisch-Romanreihe Barry Hoden. Konrad erträgt den Lockdown als häuslicher Typ mit Gelassenheit, während Paul mitsamt Hormonen am Rad dreht, seit der Eurovision Song Contest ausgefallen ist. Und das erst recht, als er sich in den Rewe-Filialleiter verguckt und mit dem Attraktivling sogar (per Bildschirm) Intimitäten austauscht. Nun sind Königs vergnügliche Momentaufnahmen in Buchform erschienen und damit in einem Rutsch zu lesen. Fans werden drauf stehen, Kritiker die notorisch eindimensionalen Frauenfiguren bekritteln und König letzteres routiniert an sich abperlen lassen. Nur so schnell, wie vom Autor (im Vorwort) erhofft, geht es mit dem vermaledeiten Virus bekanntermaßen nicht: "Wenn das Buch im Frühjahr auf dem Markt ist, dürfen wir uns hoffentlich wieder maskenlos drücken und herzen oder sonst wie schamlos auf die Pelle rücken." Der fromme Wunsch muss wohl aufs nächste Frühjahr verschoben werden. |
TIPP |
Sex Pistols - Die Graphic Novel
Jim McCarthy - Steve Parkhouse / Panini
Punk´s not dead. Wie man´s nimmt. Jedenfalls gibt es nach längerer Ruhephase zu einem der hervorstechendsten Musik-Phänomene der 70er wieder mal einen Beitrag in Comicform auf deutsch. Nein, auf eine amtliche Comic-Bio über The Clash, die musikalisch einflussreichste Band des Genres, muss die Welt weiter warten. Jim McCarthy, Autor u.a. von Godspeed: The Kurt Cobain Biography und Neverland: The Life and Death of Michael Jackson, wählte eine weitere Genre-Steilvorlage und hat sich für Sex Pistols: Die Graphic Novel mit Zeichner Steve Parkhouse zusammengetan. Der vom umtriebigen Enfant Terrible Malcolm McLaren, Ex-New York Dolls-Manager & Modepartner von Vivienne Westwood, ab 1975 inszenierte wilde Siff- & Suff-Ritt von Johnny Rotten, Sid Vicious & Co. wird hier angemessen dynamisch und farbiger als vermutet, wenn auch zeichnerisch nicht gerade herausragend, in Buchform gebracht (seine Technik erörtert Parkhouse im Skecthbook-Anhang). Mitunter fällt es etwa schwer, die in schnellem Wechsel hereinspazierenden Haupt- und Nebenfiguren auseinanderzuhalten. Etwas Vorwissen schadet jedenfalls nicht, um der Abfolge von mehr oder weniger skandalösen Medien- & Bühnen-Auftritten, Vertragsverhandlungen und Drogenexzessen zu folgen. Die provokative Show der Pistols rund um die Singles Anarchy In The UK (1976), God Save The Queen und das einzige Studio-Album Never Mind the Bollocks (beide 1977) bis zum tödlichen Drama um Sid Vicious & seine Freundin Nancy Spungen endet mit einer schwer kitschigen Jesus-Erlöser-Seite ("die letzte heisse Nadel") und einer Art Epilog aus dem Munde vom wieder zu seinem bürgerlichen Namen zurückgekehrten John Lydon ("Macht´s gut, dämliche Brut."). Soweit die mediokre Übersetzung des Lydon jedoch gegenwärtig, nach gelegentlichem Zusammenraufen mit den restlichen Bandmitgliedern Jones, Cook & Matlock in den 90er & Nuller-Jahren, gegenwärtig blockiert. |
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Nathanaëlle
Charles Berberian - Fed Beltran / Splitter
"Nathanaëlle steht sprungbereit auf dem Cover, prickelnd und bedrohlich zugleich. Im Inneren haben wir alles thematisiert, was uns umtreibt, uns zum Lachen bringt, uns Kummer macht, uns träumen lässt." Der großartige Charles Berberian (u.a. Jukebox, Cinerama und zuletzt Charlotte Perriand) gibt seiner Zufriedenheit über die jüngste Zusammenarbeit mit dem ebenfalls musikalisch geprägten Zeichenkollegen Fred Beltran im Vorwort Ausdruck. Diesmal ist Berberian Szenarist, überlässt die Zeichenbühne nebst Kolorierungen Beltran, der deren Bretter hier wirklich amtlich rockt - seine in retrofuturitische Korsagen gezwängten Amazonen, allen voran die Cyborg-Titelheldin, sind eine Augenweide. Gleich zu Beginn werden die Leser in eine wilde Schießerei geworfen, an der vier der Hauptprotagonist(inne)n in wechselnden Anteilen partizipieren. Dann wird die Uhr eine Woche zurückgedreht und das dystopische Setting einer zweigeteilten, postapokalyptischen Gesellschaft ausgebreitet: es gibt eine unterirdisch ihr Dasein fristende Mehrheit und eine an der Oberfläche im Luxus reüssierende Oberschicht, für die auch ewiges Leben kein unerfüllbarer Traum mehr ist. Moment - im Laufe der fortschreitenden Handlung fallen auch diese recht aktuell klingenden Worte: "Es gab keine verheerende Virusunfektion. Es ist völlig sinnlos, uns einzusperren." Die Apokalypse als fake news? Das möchte sich Nathanaëlle dann doch gern persönlich ansehen. Sie gelangt an die Oberfläche und trifft u.a. auf ihren Vater Tabor, einen seine Körperzellen regelmäßig erneuernden Universalgelehrten, der sich gleichwohl alle 75 Jahre als politischer Vorturner vor einem Aufsichtsrat verantworten muss. Diese Figur hat Zeichner Beltran mit überdeutlichen Zügen von Edgar Allen Poe, dieses Säulenheiligen der phantastischen Literatur, ausgestattet. Verwoben in drei Erzählsträngen, in denen auch noch ein Familienvater in Kaffeeroboter-Gestalt unterkommt, werden im zuweilen etwas blutigen Verlauf munter jede Menge Sci-Fi-Standards zitiert, von Jules Verne über Star Wars, bis zu 12 Monkeys. Das Ganze ist dann noch garniert mit frappierenden Pandemie-Referenzen. Und um das Zitat Berberians aus dem Vorwort zu Ende zu bringen: "Das alles auf 80 Seiten. Wir haben eine eigene Welt geschaffen." Auf 85 Seiten, um genau zu sein - plus einem prachtvoller Anhang mit Beltran´schen "Skizzen", der aber auch diverse meisterhafte, fertige Acryl- und Tuschezeichnungen großformatig präsentiert. Wenn schon Steampunk, dann so. |
TIPP |
Die Viper - Band 1 - FEUERREGEN / Band 2 - FLUTWELLE / Band 3 Erschüterung
alle: Laurent Astier / Splitter
Eine recht frisch anmutende Westernserie feministischer Prägung, angelegt auf fünf Bände, hat Splitter jüngst aus Frankreich an Land gezogen. Zeichner & Autor Laurent Astier liefert mit jedem Band von La Venin, hierzulande frei Die Viper betitelt, nicht zuletzt eine beeindruckende Fleissarbeit: nach je 60 Seiten detailfreudig inszenierter Handlung noch weitere sechs als Anhang: aus Emilys Tagebüchern (nebst eingeklebter historischer Fotos & Zeitungsausschnitte). Beim ersten Band kommen nocheinmal sieben Seiten von Astier ausführlich kommentierter, schwarz-weißer Skizzenbücher hinzu, die mit Storyboards und separaten Illustrationen weit über das Übliche hinausgehen. Die bislang noch in jedem Coverdress eine gute Figur machende Titelheldin Emily hat eine bewegte Jugend hinter sich, die in Rückblenden nach und nach aufgehellt wird. Man hat der jungen Dame mehrfach übel mitgespielt - jetzt ist sie auf Rache-Tour. Miss E´s jeweilige Reiserouten finden sich - stets aktualisiert - auf den Buchdeckel-Innenseiten. 1 Band Nummer 1, Feuerregen, beginnt 1885 in einem Bordell von New Orleans (wo sich Emilys Mutter verdingt) und führt die Leser(innen) alsbald nach Silver Creek, Colorado im Jahr 1900. Emily reist für ihre Hochzeit in das verschlafene Nest, muss aber feststellen, dass ihr Verlobter auf dem Dorffriedhof zu liegen scheint. Vielleicht war aber die Eheanbahnung nur ein Vorwand? Weitere Zutaten - ein nächtlicher Angriff auf ein Indianerlager, indigene Army-Scouts oder ein prächtiger Schaufelraddampfer. Ohne klassische Genre-Zutaten zu vernachlässigen, hat diese weibliche Westenheldin eben einen leicht anderen Blick auf bestimmte Dinge... 2 Schauplatz Galveston, in Texas. Heldin Emily schlüpft nicht nur - als Schwester Maria - in ein Nonnengewand, sie muss auch im örtlichen Waisenhaus für junge Mädchen aufräumen, in dem ein schurkischer Reverend ein gänzlich unbarmherziges Regiment führt. Auch der in Band 1 angefangene Handlungsstrang in New Haven, Connecticut wird wieder aufgenommen. Und am Ende bewahrheitet sich schließlich noch der Albumtitel. 3 Der im Sommer erschienene dritte Band der Serie (3/5), Erschütterung, der weitere, ans Western-Genre angrenzende Phänomene wie Ölrausch und Sklaverei sowie Schauplätze wie Ohio oder Florida durchstreift, hat die Redaktion noch nicht erreicht - wir sind gespannt. * www.splitter-verlag.de |
TIPP |
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Mary Shelley / Kim Philby
Manuela Santoni - Alessandro di Virgilio * Christopher Couffret / beide: Knesebeck
1 "Jeder von uns muss eine Geschichte schreiben. Es darf aber nicht irgendeine Geschichte sein. Sie muss wahre Angst hervorrufen!" Diese Worte Lord Byrons während eines verregneten, stürmischen Abends im Jahr 1816, während dessen sich die in einer Villa am Genfer See Anwesenden die Zeit mit dem Erzählen von Schauergeschichten vertreiben, stehen am Ende dieser Comic-Biografie der Frankenstein-Schöpferin Mary Shelley. Während nicht bekannt ist, welches der vielen Gedichte ihres Ehemanns Percy B. Shelley auf genau diesen legendären Abend zurückgeht, Byron in der Folge lediglich ein Fragment schreibt, das der ebenfalls anwesende Leibarzt John Polidori zu seiner bekannten Geschichte Der Vampir (1819) weiterentwickelt, ist das bekannteste Ergebnis dieser Nacht die Gothic Novel Frankenstein oder Der moderne Prometheus, mit dem Mary W. Shelley 1818 einen Klassiker der phantastischen Literatur schuf und sich unsterblich machte. Die vorliegende, digital entstandene Graphic Novel des italienischen Duos aus Autor Alessandro Di Virgilio und Zeichnerin Manuela Santoni schildert in expressiven, lediglich Schwarz, Weiß und Rot verwendenden Bildern die wechselvolle Lebensgeschichte der berühmten Autorin, die seit dem Tod der Mutter bei ihrer Geburt von Verlust geprägt war (mehrere ihrer eigenen Kinder starben ebenfalls früh). Eine Seite mit biografischen Daten hätte dem Band, der in der Reihe Biografien von faszinierenden Frau bei Knesebeck erscheint, allerdings gut getan. |
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2 "Das Leben eines Spions besteht aus Lügen, die wir so plausibel machen müssen, dass wir sie am Ende selbst glauben." Eine etwas sperrige historische Agenten-Bio aus der Zeit des Kalten Krieges ist Kim Philby - Gentleman, Spion, Verräter Als Doppelagent zwischen Moskau und London. Der aus gutbürgerlichem Hause stammende, eher schüchterne Harold Philby, genannt `Kim´ nach einer kolonialen Agentengeschichte von Rudyard Kipling, wird während seiner Studienzeit 1933 als einer der „Cambridge Five“ vom KGB angeworben. Da er es im 2. Weltkrieg zum britischen Geheimdienst MI6 schafft, sind bald alle Voraussetzungen für eine rege Doppelagententätigkeit geschaffen. Philby reist als Journalist der Times durch Europa, agiert als Verbindungsmann zum CIA, wird gar Teil der sogenannten antisowjetischen Abteilung bei den Briten. Er steigt solange im MI6 auf, bis er enttarnt wird, sich aber Anfang der 60er Jahre noch nach Moskau absetzen kann. Dort lässt er eine Reihe britischer Agenten in der UdSSR hochgehen und wird zum Helden der Sowjetunion. All dies erzählt der in Rente gegangene Philby in Moskau relativ offen einem Besucher, seinem alten MI6 Bekannten, dem berühmten Schriftsteller Graham Greene (u.a. Der Dritte Mann): "Sie waren ja immer der Ansicht, auch mein Leben gebe eine verdammt gute Geschichte ab." Interessantester und gewagtester Twist dieser sich eher dahinschleppenden Graphic Novel von Szenarist Pierre Boisserie & Zeichner Christophe Gaultier ist nun die steile These, Greene habe Philby in Moskau mit seinem Mitbringsel, vergiftetem Shortbread, umgebracht. Lediglich das Treffen zwischen beiden 1987 ist belegt, Philby starb 1988, Greene 1991 (und hielt sich stets bedeckt bezüglich des Senioren-Meetings). Doch um mit einem lupenreinen Kilby-Agenten-Zitat zu schließen: "Warum die Wahrheit sagen, wenn es auch eine Lüge tut?" |
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freak brothers - gesamtausgabe Band 1
Gilbert Shelton / avant-verlag
Sex and Drugs and Rock´n Roll - the Return of Those Fabulous Furry Freak Brothers! Als neben Fritz The Cat wohl bekanntestes Comic aus dem US-Underground der late 60´s/early 70´s garantiert "disapproved by the comics code authority" brachte es Gilbert Sheltons Chaos-Kollektiv aus der Hippieszene von San Francisco auch in Linken- & Studentenkreisen hierzulande zu einiger Bekanntheit. Kein Geringerer als Gerhard Seyfried berichtet im Vorwort von seinen Spätsiebziger-Trips nach Frisco (zunächst, weil er sich in New York nächtens nicht traute, den Flughafen zu verlassen), zur Redaktion von Rip Off Press, Heimstadt der meisten Untergrundheftchen der Ära und natürlich auch der kleinkriminellen, moralisch wie hygienisch bedenklichen WG von Phineas, Free Wheelin‘ Franklin und Fat Freddy (mitsamt dessen infamöser Katze). Beim avant-verlag hat man sich zu einer (auf zwei Bände verteilten) Gesamtausgabe aller je erschienenen Comicstrips der Freak Brothers entschieden, inklusive sämtlicher Cover, Werbeposter, Extra-Illustrationen und sonstiger rarer Fundstücke. Macht schon im der vorliegenden ersten Band satte 340 Seiten, immerhin etwa ein Drittel davon in Farbe (der von Seyfried co-übersetzte Knock About-Mittelteil von 1982, Chaoten auf Achse), zwischen den psychedelisch bunten Buchdeckeln. Fazit nach der nostalgischen Lektüre erstem Teil (auch so gesehen vom Trio-Groupie auf S.28): "Oh, wow! Lasst uns ein paar Comics lesen und dann machen wir es nochmal!" |
TIPP |
Die 5 Reiche - Band 2 - EINER DER LEBT & Band 3 - DIE LIEBE EINES TROTTELS
Beide: Llewellyn - Lereculy / Splitter
Der furiose Auftakt, mit dem das Autorentrio Lewelyn (Andoryss aka Mélanie Guyard, David Chauvel & Patrick Wong) seine Die 5 Reiche unlängst im Geiste von George R. R. Martin lancierte, findet seine Fortsetzung - schon hat das Splitter-Team mitten in der Pandemie den zweiten und dritten Band ins Handels-Regal gestellt. Nach dem spektakulären Abgang von König Cyrus nebst ältester Tochter Mileria am Schluß des ersten Bandes, nehmen die Leser zunächst an der Einäscherungszeremonie teil, während der sich schon die neuen Ansprüche rund um den Thron von Angleon formieren. Player sind u.a. mögliche Erben wie Prinzessin Astrelia, ihre untereinander rivalisierenden Cousins Hirus (der Älteste), Moron (der Aufstrebende) und Mederion (der Schweigsame), aber auch die Anführer der Löwen- und der Tiger-Fraktion im Staat formieren sich, bis sie in Folge 3 mit aller optischen Wucht aufeinander losgehen. Vor diesem Hintergrund werden diverse Handlungsstränge weitergesponnen, wie es sich für eine gute Serie gehört. Als da wären unstandesgemäße Liebesgeschichten, die Fluchtpläne der Geiseln aus den übrigen vier Reichen Erinal, Ithara, Arnor und Etharys, deren möglichen Interventionen man mit Spannung entgegensieht, die geheime Mission eines caninen Kopfgeldjägers oder den Weg, den der junge This im Kadettenkorps der königlichen Garde nimmt. Dieses `tierische´ Game of Thrones fesselt weiterhin ungemein, zumal Jérôme Lereculeys Zeichnungen stets von so hoher Qualität & Detailgenauigkeit sind - er leistet sich sogar am Ende von Band 3, Die Liebe Eines Trottels einen geradezu verschwenderischen Umgang mit dem Platz, den ihm ein Einseiter im Thronsaal bietet - wunderbar zuvor auch der maritime Ausklang von Band 2, Einer, Der Lebt. Erneute Empfehlung! |
TIPPs |
Esther - Mein Leben als Vierzehnjährige
Riad Sattouf / Reprodukt
Weiter geht´s im Text der von "Araber von Morgen" Riad Sattouf aufgezeichneten "wahren Geschichten von Esther A." Die ist mittlerweile 14 Jahre alt und lernt in den neuen 52 Episoden-Einseitern, den Planeten Erde & Greta Thunberg zu schätzen, mit Zahnseide umzugehen, Floss tanzen, die neue Katze besser nicht ins Bett zu lassen, den Verlust ihres I-Phones in der Kloschüssel oder den Tod von Charles Aznavour zu verarbeiten. Ja, und die beginnende Teenagerliebe...: "Ich habe sowas von null Selbstvertrauen, ganz schlimm... Habe auch keinen Liebsten oder irgend so was und ich mag auch mein Aussehen immer weniger (Neulich erst hat sogar wer gesagt, ich wäre `hässlich´)". Immerhin, Esther wird endlich ihre Zahnspange los, hat ihren ersten Freund und kommt in die achte Klasse. "Ansonsten voll gut: Es ist dieselbe Klasse wie letztes Jahr, mit denselben Leuten! Was weniger toll ist: Es gibt zwei Sitzenbleiberinnen, zwei von den Angesagten - und ausgerechnet in meiner Klasse." Esthers Tagebücher werden von Riad Sattouf konsequent weiter aus kindlicher Sicht erzählt und halten der französischen Gesellschaft damit einen Spiegel vor. Das auf zehn Bände angelegte Coming of Age-Sozial-Projekt, mit dem Sattouf den Lebensweg der jungen, real existierenden Esther aus seinem Bekanntenkreis begleitet, ist mit dem vorliegenden fünften Band bei der Hälfte angekommen. Wir bleiben dran. |
TIPP |
bislang bei Cinesoundz: Mein Leben als Zehnjährige / als Elfjährige * Mein Leben als Zwölfjährige * Mein Leben als Dreizehnjährige * |
Isola - Band zWEI
Brenden Fletcher - Karl Kerschl - Msassyk / Cross Cult
Nicht nur die fehlende Seiten-Numerierung macht es gelegentlich schwer, sich in Isola zurechtzufinden. Die Fantasy-Mär der Buddies Brenden Fletcher (Szenario) & Karl Kerschl (Eisner-Award-nominierte Zeichnungen - with more than a little help by Michele Assarasakorn aka Msassyk / Kolorierung) verlangt einiges an Konzentration. Auch durch den zweiten Sammelband der bei Cross Cult im Oktober 2019 gestarteten deutschen Ausgabe des US-Indie-Serienhits zieht sich ein ordentlich mäandernder Handlungsfaden, der den einen oder die andere Leser(in) auf der Strecke zurückbleiben lassen könnte. Olwyn, die in ein fluoreszierendes Tigerweibchen verzauberte Königin eines fiktiven Reiches namens Maar und ihre treue Amazone Captain Rook sind weiter auf der Queste nach dem verwunschenen Totenreich Isola. Und zwar mittlerweile einigermaßen lädiert und entmutigt. Dabei gilt es, Monster zu bekämpfen, uralte Geheimnisse zu lüften und einen drohenden Krieg zu verhindern. Das amerikanisch-kanadische Autoren-Duo und seine hiesige Editoren-Crew liefern als Bonus erneut einen Anhang mit diversen prächtig geratenen Coverabbildungen der US-Versionen sowie Alternativen aufstebender Talente. Von Koloristin Michele A. stammt noch ein Behind-The-Scenes-Minicomic, entstanden zur Vorbereitung eines offensichtlich sehr inspirierenden Tokio-Trips, u.a. ins Studio Ghibli-Museum (Miyazaki-san lässt von der Anime-Wolke grüßen). Ein 35-seitiges Fanzine mit der Langfassung dazu auf: www.msassyk.com Eine Pause im hiesigen Veröffentlichungs-Rhythmus mag auch der ernsten Corona-Erkrankung Fletchers geschuldet sein - auf diesem Wege transatlantisch: gute Besserung! |
TIPP |
https://karlkerschl.com/portfolio/isola |
Finding Joy
Gary Andrews / Lübbe
Gary Andrews (*1961) aka GaryScribbler, ist Illustrator (u.a. Feuerwehrmann Sam), Karikaturist und Filmproduzent, erzählt in Finding Joy mit dem langen Untertitel genau das: Plötzlich Witwer. Wie mich meine Kinder zurück ins Leben führten. 2017 ist Gary auf Geschäftsreise, als er von einer schweren Erkrankung seiner Frau hört. Er setzt sich sofort in den nächsten Flieger, doch seine geliebte Joy stirbt an einer Sepsis - noch vor seiner Ankunft. Seine Welt bricht zusammen. Ganz plötzlich ist Andrews nicht nur Witwer, sondern auch alleinerziehender Vater zweier kleiner Kinder. Die vorliegende Mischung aus Comic und illustriertem Buch ist das Ergebnis von Andrews´ individueller Bewältigung der "Trauer-Achterbahn": jeden Tag eine Szene, eine Seite zu zeichnen, zu texten. Entstanden ist ein Logbuch der Einsamkeit, widersprüchlicher Gefühle und des neu strukturierten Alltags mit Tochter und Sohn: Die Einäscherung, das erste Weihnachten und Neujahr ohne Partnerin, die leere Seite des Bettes, das Muffensausen vor der ersten Urlaub ohne Joy, später die Entscheidung, den Ehering symbolisch an die andere Hand zu stecken. Bis auf das Cover) in Schwarz-weiß und auf Recyclingpapier. Bei allem Respekt schafft die Am Ende des Buches finden sich noch auf deutsche Adressen zu Sepsis-Hilfe, Trauerbegleitung und Vernetzung für Verwitwete. "Heute habe ich einen Vortrag über kindliche Trauerbewältigung gehalten. Ich würde alles dafür geben, nichts darüber zu wissen, aber...das tue ich nun einmal." |
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